Nachdem Nadia Kailouli für das Erste auf den Spuren der Liebe war, hat sie sich für SPIEGEL Online auf die
Suche nach der politischen Stimmung in ein paar bundesdeutschen Lindenstraßen
begeben. Eine eigentlich pfiffige Idee. Doch die Personalie Kailouli offenbart
die Missstände im deutschen Journalismus, weil dieser mittlerweile von medialen
Rampensäuen lebt. So etwa Janin Reinhardt, anfänglich Ulknudel beim Musiksender
VIVA, später erfolglose Schauspielerin und danach Volontärin beim Norddeutschen Rundfunk. Nicht anders ist das bei Nadia Kailouli.
Überall, wo eine Kamera ist und
es nicht zu tiefgründig wird, ist Nadia Kalouli. Doch in ihrem Format bei
SPIEGEL Online mit seinen wenig tiefschürfenden Interviews ist ihr ein kleiner
Erfolg gelungen. Sie war unterwegs in der Lindenstraße im oberbayrischen Netterndorf und München und befragte die Wahlbürger. In den Interviews stach
hervor, dass viele Menschen nicht mehr aus politischen Visionen heraus wählen
gehen, sondern aus Dankbarkeit und Genügsamkeit oder wegen politischer
Denkzettel. Dieser journalistische Beifang ist exemplarisch für eine
postdemokratische Gesellschaft, in der es beinah nur noch gilt, dem anderen
einen Denkzettel zu verpassen oder missliebige Parteien zu verhindern.
Schließlich wählt kaum noch einer mehr den politischen Fortschritt.
Dieser bedauerliche Umstand mag
an der geringen Überzeugungskraft progressiver Kräfte liegen oder der
vermeintlich historischen Delegitimation fortschrittlicher Ideen seit dem
Untergang der DDR. Oder dem Glaube an den ewigen Siegeszug des Marktes mit
seiner freien Hand, die irgendwie alles schon regeln wird.
Und so befinden sich Wähler und
Parteien in einem Teufelskreis. Die politischen Parteien, die laut Artikel 21 des Grundgesetzes der demokratischen Meinungsbildung dienen sollen, scheuen
sich mittlerweile in größeren Würfen, sind von den Wahlbürgern oftmals vollkommen
entfremdet oder bieten oftmals lediglich Stagnation, wenn nicht sogar Reaktion
an. Doch davon fühlen sich die Wahlbürger nur bedingt angesprochen und begnügen
sich deshalb oftmals mit Status quo. Das ist sehr bedauerlich, aber sehr
charakteristisch für den aktuellen gesellschaftlichen Querschnitt.
Da ist es auch kein Wunder, dass
die deutsche Sozialdemokratie an den Wirklichkeiten vorbeiarbeitet. Alle vier
Jahre verspricht sie das Gleiche. Und besonders jetzt nach dem Aufstieg der
vermeintlichen Alternative für Deutschland. Zwar sind die Wählergruppen bei der
AfD und SPD identisch, jedoch deren Beweggründe nicht. So entstammen die Wähler
der SPD dem Kleinbürgertum und die der AfD dem Klein- bis Bildungsbürgertum.
Beide Wählergruppen fühlen sich durch Veränderungen bedroht. Während die Sorge
eines sozialen Abstiegs die Wählerschaft der SPD antreibt, ist es bei der Wählerschaft der AfD die Besorgnis um die gesellschaftliche Veränderung.
Doch das hat die SPD wie so oft
nicht erkannt. Ihre Kernwählerschaft übergibt sie seit Jahren kontinuierlich an
die Linke. Bei der SPD verblieben sind lediglich Kleinbürger im mittleren Alter
oder älter. Und so spricht bedauerlicherweise einzig die AfD ihren Wählern im
bürgerlichen Spektrum aus der Seele. Die Wähler von CDU, CSU, SPD, FDP und
Bündnis‘90/Die Grünen hingegen begnügen sich mit der Hoffnung, dass es
vielleicht doch nicht so schlimm kommen wird. Doch solch eine Hoffnung wird
sich nicht erfüllen. Diese fünf moderat-bürgerlichen Parteien werden ihren
Politikbetrieb so fortführen, wie sie es gewohnt waren. Daran wird sich auch das
Erstarken der AfD nichts ändern.
Und so stellt sich nur noch die
Frage, was eine Wahl soll, bei der man das geringere Übel beziehungsweise die
Stagnation wählt oder lediglich Denkzettel verteilen will. Denn so etwas zeugt
von politischer Unreife.
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