Sonntag, 1. März 2015

Die Ukrainekrise und ihre bisherigen Folgen



In diesem Blog wurden bereits die Ursachen und Hintergründe der aktuellen Ukrainekrise beschrieben. Der SPIEGEL widmete eine Titelgeschichte (08/2015) den wahren Begebenheiten während der Revolution auf dem Kiewer Maidan. So stachelten militante, mehrheitlich rechtsgerichtete Putschisten die friedlichen Demonstranten zum Umsturz an, indem sie hinterrücks auf unbewaffnete, harmlose Demonstranten und Polizisten schossen. Gleichzeitig übten Putin und westliche Politiker Druck auf den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch aus. Putin drohte eine Kredittranche nicht auszuzahlen, wenn Janukowytsch den Demonstranten nachgibt. Gleichzeitig wurden westliche Diplomaten und Politiker bei Janukowytsch vorstellig, um ihre Protegés zu schützen. Gleichzeitig gestand der frühere Oppositionsführer Arsenij Jazenjuk offen ein, dass ihm und den anderen Rädelsführern die Kontrolle über die militanten, gewaltbereiten Gruppierungen entglitten ist. Das alles wirkt wie eine griechische Tragödie aus der Antike, wo es ausschließlich Verlierer gibt. Sophokles selbst hätte es nicht besser schreiben können. „Antigone“ ist dagegen ein Laienspiel. Selbst Shakespeares „Macbeth“ sieht da blass aus. Offen ist nur noch, wer die gierige Lady Macbeth und wer der dumme Macbeth ist.

Doch wie sehen die momentanen Folgen dieser Krise in der Ukraine aus.

1. Innerukrainische Konsequenzen

Die ukrainische Wirtschaft und Währung ist im freien Fall. Die Ursachen finden sich bereits in vorherigen Entwicklungen. So stagniert die ukrainische Wirtschaft seit 2012, und Petro Poroschenko sowie andere ukrainische Oligarchen verzeichneten zwischen 2013 und 2014 großeVerluste ihres Vermögens. Doch erst mit den erfolgreichen Protesten auf den Maidan schmierte die ukrainische Wirtschaft richtig ab.

Außerdem ist das Land in ein östliches, eher prorussisches sowie in ein westliches, vermeintlich pro-europäisches Lager gespalten. Beide Seiten misstrauen einander. Deshalb kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen und einem Bürgerkrieg. In den deutschen Medien werden dazu gern ukrainische Staatsbürger gezeigt, die sich nach der angeblichen Befreiung durch die ukrainische Armee und Freiwilligenverbände zu Wort melden. Angeblich seien sie froh und wollen keinen Krieg mehr. Doch vielmehr sind diese armen Menschen kriegsmüde. Ob sie tatsächlich für die Ukraine oder für die Separatisten sind, ist nicht zweifelsfrei aufzuklären.

In Folge der unerbitterlichen Proteste auf dem Maidan trat Wiktor Janukowytsch als Präsident der Ukraine ab und floh nach Russland. Dort sitzt er nun, während in den durch Kiew kontrollierten Gebieten ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt wurden. Es gewannen angebliche Pro-Europäer. Als Präsident wurde der milliardenschwere Oligarch Petro Poroschenko gewählt. Vor seiner Wahl versprach er, dass er nach seiner Wahl all seine Firmen verkaufen wolle. Doch dieses Versprechen löste er bis heute nicht ein. Auf der anderen Seite gibt es Arsenij Jazenjuk. Er stammt aus dem früheren Umfeld der ukrainischen Oligarchin Julija Tymoschenko und war Chef der ukrainischen Notenbank. Nachdem Jazenjuk Ministerpräsident für den Übergang wurde, sagte er sich von Tymoschenko los und gründete eine eigene Partei namens „Volksfront“. Jazenjuk hat eben Morgenluft gewittert. Mit seiner Partei wurde er nach den Parlamentswahlen stärkste Fraktion im Parlament, weshalb er weiterhin Regierungschef blieb.

Allerdings wirken Poroschenko und Jazenjuk bei den aktuellen Ereignissen in ihren Ämtern wie Getriebene. Dabei ist das in hiesigen Kreisen eine eher schonende Beschreibung, weil man damit suggeriert, dass eine Getriebener Opfer seiner Umstände sei. Doch anstatt den ukrainischen Hardlinern entschlossen entgegenzutreten, unterwerfen sich beide Politiker diesen und schürten den Konflikt in der Ostukraine mit martialischen Auftritten, Posen und Worten.

Auf der anderen Seite in der Ostukraine wüten Separatisten. Sie eroberten die Region um Donezk und Lugansk. Zeitweise kontrollierten sie auch Slowiansk und versuchten sich in Charkiw. Vieles deutet auf eine russische Unterstützung hin. Ob diese jedoch staatlich verordnet wurde oder privat erfolgt, ist jedoch bislang nicht eindeutig belegt.

Auch in der Ostukraine fanden Wahlen statt. Allerdings lehnte die OSZE eine Beobachtung ab, weil damit angeblich der Friedensprozess gefährdet wäre. Das mag sicherlich stimmen, doch streiten westliche Politiker damit auch die Demokratiefähigkeit der Separatisten ab.

Und die Krim? De-jure gehört sie zur Ukraine, doch durch eine völkerrechtswidrige Annexion ist die Krim de-facto russisch. Daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Zu geschichtsträchtig war und ist die Krim, als dass Russland dauerhaft auf sie verzichten wollte. Das mag menschlich erscheinen, findet dadurch aber trotzdem keine rechtliche Begründung. Und wie sagte der verstorbene Reporter Peter Gatter einmal: „Lapper, lapper, plapper, plapper – und morgen kräht der Hahn auch wieder vom Mist!“

2. Russische Konsequenzen

Zwar erklärt die US-Amerikanerin Fiona Hill, dass westliche Politiker den russischen Präsidenten Wladimir Putin nie richtig verstanden hätten. So wurde aufseiten des Westens Russland und Putin für die Misere in der Ukraine verantwortlich gemacht. Wirkliche Beweise für eine russische Beteiligung und Schuld gab es allerdings nicht, weil bislang offenbleibt, inwiefern russische Behörden in der Ukrainekrise verwickelt sind. Vieles deutet auf eine russische Beteiligung hin, doch das sind lediglich Mutmaßungen und Indizien.

Trotzdem erfuhr der russische Staat verschiedene Sanktionen. Seitdem bleibt zahlreichen Politikern und Staatsbürgern Russlands die Einreise in die EU-Staaten und USA versagt, deren Konten wurden ferner eingefroren. Außerdem dürfen bestimmte Produkte nicht nach Russland ausgeführt werden. Deutsche Unternehmen müssen deswegen Geschäfte mit russischen Partnern einbüßen, während die USA seit den Sanktionen 2014 ihre Exporte nach Russland ausbauen konnte. Kurioserweise sanktionieren die EU und USA sich nicht selbst, indem sie den Import von russischen Erdgas und -öl verweigern.

Momentan erlebt zwar die russische Wirtschaft und Währung eine vergleichsweise kleine Talfahrt, aber ob dies im Zusammenhang mit den Sanktionen steht, ist nicht eindeutig belegbar. An die Wirkung der Sanktionen zweifelt auch Eckhard Cordes, der Aufsichtsratsvorsitzende von Bilfinger. Vielmehr liegt der aktuelle Niedergang der russischen Wirtschaft und des Rubels am aktuellen Ölpreis begründet, der durch das Ausschöpfen der saudischen Swing-Kapazität in Mitleidenschaft gezogen wird. Seit ungefähr einem Monat steigt der Ölpreis wieder und somit auch der Rubelkurs.

3. EU-interne Konsequenzen

War am Anfang noch eine starke polnische Beteiligung im Vorfeld und am Anfang der Ukrainekrise auszumachen, ist nun nichts mehr von polnischer Seite zu vernehmen, außer dem Wunsch nach mehr Sicherheit vor Russland.

Aleksander Kwaśniewski diente anfänglich der EU noch als Werber für die EU-Osterweiterung. Das ist durchaus passend, war aber sehr ungeschickt. Viele Polen – obwohl sie sehr pro-europäisch sind – sind beseelt von der polnischen Größe aus dem Mittelalter, als Polen in der Jagiellonen-Dynastie von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, und von der historischen Schmach, als in der Neuzeit Polen von der Landkarte verschwandt. Außerdem herrscht große Sehnsucht nach der ukrainischen Region um Lwiw, dem ehemals österreichischen Lemberg. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg von 1919 bis 1921 erzielte die damals polnische Armee enorme Geländegewinne im damaligen Sowjetrussland. Die damaligen Westmächte schufen daraufhin die Curzon-Linie. Dies ist mehr oder weniger ein willkürlicher Grenzverlauf, der nicht-polnische Gebiete den Polen zuschlägt, während polnische Gebiete an Sowjetrussland fielen. So auch das Gebiet um Lwiw, das nach dem Frieden von Riga von 1921 polnisch wurde, allerdings östlich der Curzon-Linie lag und damit eigentlich zu Sowjetrussland gehören sollte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Gebiet an die Sowjetunion, weil die Rote Armee diese Gegend besetzt hielt und mit dem Verweis auf die Curzon-Linie für sich beanspruchte.

Zwar war Radosław Sikorski als polnischer Außenminister ein Realpolitiker par excellence, jedoch vermochte er es auch nicht die Ukrainekrise zu beenden. Nach seinen ehrlichen Worten über Europa, Deutschland und die USA sowie nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Ewa Kopacz als neue polnische Regierungschefin verlor Sikorski sein Amt als Außenminister und wurde Parlamentsvorsitzender. Damit verschwand der letzte Pole aus dem EU-Bündnis zur Überwindung der Krise in der Ukraine und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als auch sein französischer Amtskollege François Fabius konnten sich ungestört um die Ukrainekrise kümmern.

Das stärkte durchaus das in letzter Zeit angeknackte deutsch-französische Verhältnis, weil in der EU-Finanz- und Wirtschaftspolitik Deutsche und Franzosen neuerdings gegensätzliche Positionen beziehen. Diese fiskalischen und ökonomischen Probleme wurden zwar nicht beseitigt, doch festigte sich die Beziehung zwischen beiden Regierungen, besonders zwischen Bundeskanzler Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Doch die beiden schafften bei den Minsker Verhandlungen vom 12. Februar 2015 nicht klare, verbindliche Abmachungen zu erzielen, weswegen noch immer Menschen in der Ostukraine sterben.

Ferner erfuhr die EU eine weitere Dimension während der Ukrainekrise. Russland unter Präsident Putin zeigt mit seinem Staatsverständnis und seiner einigermaßen erfolgreichen Wirtschaft auf, wie wenig alternativlos Merkels Politik ist. Das erkannten die Griechen spätestens bei der letzten Parlamentswahl und wählten SYRIZA. Der neue griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sprach sich gegen weitere Sanktionen gegenüber Russland aus. Das ist jedoch keine vollkommene Hinwendung zu Russland. Allerdings befürchtete der Politikwissenschaftler Samuel Huntington bereits in seinem berühmten Buch „Kampf der Kulturen“, dass sich das orthodoxe Griechenland eventuell dem orthodoxen Russland zuwendet.

Doch nicht nur Griechenland ist Russland ehrlicherweise wohlgesonnen, sondern auch Bulgarien, dessen Wirtschaft traditionell eng mit der russischen verbunden ist, und das große Mengen an Erdgas- und -öl aus Russland bezieht. Auch slowakische, tschechische, ungarische und slowenische Politiker sind weniger kritisch gegenüber Russland als andere EU-Staaten.

Und so mutet das deutsch-französische Bündnis wie eine Form der Symbolpolitik an, wenn sich Merkel und Hollande in Außenpolitik gegenüber Russland versuchen. Zweifellos ist den EU-Bürgern die Krise in der Ukraine mehrheitlich egal. Doch Merkel und Hollande hasten von Gipfel zu Gipfel, um ihren jeweiligen Unwillen zu Kompromissbereitschaft und zu Reformen zu kaschieren. Auf der einen Seite will Bundeskanzler Merkel nicht vom deutschen Austeritätsprinzip abweichen, und auf der anderen Seite will Präsident Hollande Frankreich keinen notwendigen Reformen unterziehen. Und so dient den beiden Politikern Außenpolitik als Mittel zur Ablenkung von heimischer Politik. Das zeugt von tatsächlicher Gleichgültigkeit gegenüber der Ukraine.

4. Weißrussische Konsequenzen

Als lachender Dritter steht der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko auf dem Friedensgipfel im weißrussischen Minsk am 05. September 2014 sowie am 12. Februar 2015. Lukaschenko ist Gastgeber, war aber vor der Krise in der Ukraine der letzte Aussätzige in Europa, weil er Wahl manipuliert hat. Auch in Russland ist er wenig wohl gelitten. Mit den Gipfeln in Minsk erfuhr Lukaschenko eine Aufwertung seiner Person.

5. US-amerikanische Konsequenzen

Dass US-Präsident Barack Obama eher ein Mann der großen Worte ist, ist hinlänglich bekannt. Und so wählten die US-Bürger bei den letzten Midterm-Wahlen im Jahr 2014 mehrheitlich Republikaner in den US-Senat. Damit ist Obama für die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit eine lame duck, eine lahme Ente, weil die Republikaner neben dem US-Repräsentantenhaus nun auch im Senat die Mehrheit stellen. Ob nun Republikaner oder Demokraten – welchen Unterschied macht das? Sicherlich nur einen marginalen. Der Grund für den republikanischen Wahlsieg mag überwiegend in ObamaCare liegen. Dieses Programm sorgt für Empörung bei den weißen, anglosächsischen Protestanten (im Englischen auch kurz WASP genannt), die mehrheitlich bei den sogenannten Midterms wählen gehen. Doch allgemeinen wird auch Obamas Unentschlossenheit bemängelt, was sich ebenfalls in der US-Außenpolitik äußert. Doch ist es wirklich Unentschlossenheit, wenn man sich nicht für einen Krieg und Aufrüstung ausspricht? Wohl kaum.

Den tatsächlichen Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten findet man im Umgang mit Militär und Krieg. Während die Demokraten eher zurückhaltend mit Militär und Krieg umgehen, propagieren die Republikaner geradezu die Verheißungen durch Krieg und Militär. So meldete sich im Zuge der Ukrainekrise auch wieder der ehemalige republikanische US-Präsidentschaftskandidat John McCain zu Wort, indem er eine militärische Aufrüstung der ukrainischen Armee befürwortete. McCain wurde früher einmal mit den Worten „Bomb, bomb, bomb Iran!“ auf die Melodie des Beach-Boys-Liedes „Barbara Ann“ zitiert. Doch die weiterführenden Konsequenzen einer Bewaffnung der ukrainischen Armee durch die USA scheint McCain nicht aufzugehen. Das heizte den Konflikt in der Ukraine und mit Russland nur noch weiter an.

Der Anstieg der US-amerikanischen Wirtschaftsexporte nach Russland scheinen eher unbeabsichtigt, als dass man diesen weitere Beachtung schenken müsste.

Insofern kennt in der aktuellen Ukrainekrise nur Verlierer. Die Ukraine versinkt im Chaos. Russland erfährt einschneidende, aber verkraftbare Sanktionen. Europäische Politiker versteigen sich in Nebensächlichkeiten, anstatt notwendige Reformen in Europa durchzuführen, damit die EU auch noch in Zukunft besteht. Der weißrussische Präsident Lukaschenko freut sich über seine neue Aufmerksamkeit, doch tatsächliche Unterstützung durch Russland oder die EU erfährt er auch nicht. Und die US-amerikanischen Politiker verkennen einerseits die politische Wirklichkeit und andererseits zeichnet sich US-Präsident Obama geradezu durch außenpolitische Besonnenheit aus. Wie lang das gut geht, ist fraglich. Auch Obama scheint Opfer seiner Umstände zu sein, weil er immer mehr die Rolle eines Getriebenen einnimmt.

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