In diesem Blog wurden bereits die
Ursachen und Hintergründe der aktuellen Ukrainekrise beschrieben. Der SPIEGEL widmete eine Titelgeschichte (08/2015) den wahren Begebenheiten während der Revolution auf dem Kiewer Maidan. So stachelten militante, mehrheitlich
rechtsgerichtete Putschisten die friedlichen Demonstranten zum Umsturz an,
indem sie hinterrücks auf unbewaffnete, harmlose Demonstranten und Polizisten schossen.
Gleichzeitig übten Putin und westliche Politiker Druck auf den damaligen ukrainischen
Präsidenten Wiktor Janukowytsch aus. Putin drohte eine Kredittranche nicht
auszuzahlen, wenn Janukowytsch den Demonstranten nachgibt. Gleichzeitig wurden
westliche Diplomaten und Politiker bei Janukowytsch vorstellig, um ihre
Protegés zu schützen. Gleichzeitig gestand der frühere Oppositionsführer Arsenij
Jazenjuk offen ein, dass ihm und den anderen Rädelsführern die Kontrolle über
die militanten, gewaltbereiten Gruppierungen entglitten ist. Das alles wirkt
wie eine griechische Tragödie aus der Antike, wo es ausschließlich Verlierer
gibt. Sophokles selbst hätte es nicht besser schreiben können. „Antigone“ ist
dagegen ein Laienspiel. Selbst Shakespeares „Macbeth“ sieht da blass aus. Offen
ist nur noch, wer die gierige Lady Macbeth und wer der dumme Macbeth ist.
Doch wie sehen die momentanen
Folgen dieser Krise in der Ukraine aus.
1. Innerukrainische
Konsequenzen
Die ukrainische Wirtschaft und Währung ist im freien Fall. Die Ursachen finden sich bereits in vorherigen
Entwicklungen. So stagniert die ukrainische Wirtschaft seit 2012, und Petro Poroschenko sowie andere ukrainische Oligarchen verzeichneten zwischen 2013 und 2014 großeVerluste ihres Vermögens. Doch erst mit den erfolgreichen Protesten auf den
Maidan schmierte die ukrainische Wirtschaft richtig ab.
Außerdem ist das Land in ein
östliches, eher prorussisches sowie in ein westliches, vermeintlich
pro-europäisches Lager gespalten. Beide Seiten misstrauen einander. Deshalb kam
es zu bewaffneten Auseinandersetzungen und einem Bürgerkrieg. In den deutschen
Medien werden dazu gern ukrainische Staatsbürger gezeigt, die sich nach der
angeblichen Befreiung durch die ukrainische Armee und Freiwilligenverbände zu
Wort melden. Angeblich seien sie froh und wollen keinen Krieg mehr. Doch
vielmehr sind diese armen Menschen kriegsmüde. Ob sie tatsächlich für die
Ukraine oder für die Separatisten sind, ist nicht zweifelsfrei aufzuklären.
In Folge der unerbitterlichen
Proteste auf dem Maidan trat Wiktor Janukowytsch als Präsident der Ukraine ab
und floh nach Russland. Dort sitzt er nun, während in den durch Kiew
kontrollierten Gebieten ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt
wurden. Es gewannen angebliche Pro-Europäer. Als Präsident wurde der
milliardenschwere Oligarch Petro Poroschenko gewählt. Vor seiner Wahl versprach
er, dass er nach seiner Wahl all seine Firmen verkaufen wolle. Doch dieses
Versprechen löste er bis heute nicht ein. Auf der anderen Seite gibt es Arsenij
Jazenjuk. Er stammt aus dem früheren Umfeld der ukrainischen Oligarchin Julija Tymoschenko und war Chef der ukrainischen Notenbank. Nachdem Jazenjuk Ministerpräsident
für den Übergang wurde, sagte er sich von Tymoschenko los und gründete eine
eigene Partei namens „Volksfront“. Jazenjuk hat eben Morgenluft gewittert. Mit
seiner Partei wurde er nach den Parlamentswahlen stärkste Fraktion im
Parlament, weshalb er weiterhin Regierungschef blieb.
Allerdings wirken Poroschenko und
Jazenjuk bei den aktuellen Ereignissen in ihren Ämtern wie Getriebene. Dabei
ist das in hiesigen Kreisen eine eher schonende Beschreibung, weil man damit
suggeriert, dass eine Getriebener Opfer seiner Umstände sei. Doch anstatt den
ukrainischen Hardlinern entschlossen entgegenzutreten, unterwerfen sich beide
Politiker diesen und schürten den Konflikt in der Ostukraine mit martialischen
Auftritten, Posen und Worten.
Auf der anderen Seite in der Ostukraine
wüten Separatisten. Sie eroberten die Region um Donezk und Lugansk. Zeitweise
kontrollierten sie auch Slowiansk und versuchten sich in Charkiw. Vieles deutet
auf eine russische Unterstützung hin. Ob diese jedoch staatlich verordnet wurde
oder privat erfolgt, ist jedoch bislang nicht eindeutig belegt.
Auch in der Ostukraine fanden
Wahlen statt. Allerdings lehnte die OSZE eine Beobachtung ab, weil damit angeblich
der Friedensprozess gefährdet wäre. Das mag sicherlich stimmen, doch streiten westliche
Politiker damit auch die Demokratiefähigkeit der Separatisten ab.
Und die Krim? De-jure gehört sie
zur Ukraine, doch durch eine völkerrechtswidrige Annexion ist die Krim de-facto
russisch. Daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Zu
geschichtsträchtig war und ist die Krim, als dass Russland dauerhaft auf sie
verzichten wollte. Das mag menschlich erscheinen, findet dadurch aber trotzdem
keine rechtliche Begründung. Und wie sagte der verstorbene Reporter Peter
Gatter einmal: „Lapper, lapper, plapper, plapper – und morgen kräht der Hahn
auch wieder vom Mist!“
2. Russische Konsequenzen
Zwar erklärt die US-Amerikanerin
Fiona Hill, dass westliche Politiker den russischen Präsidenten Wladimir Putin nie richtig verstanden hätten. So wurde aufseiten des Westens Russland und Putin
für die Misere in der Ukraine verantwortlich gemacht. Wirkliche Beweise für
eine russische Beteiligung und Schuld gab es allerdings nicht, weil bislang
offenbleibt, inwiefern russische Behörden in der Ukrainekrise verwickelt sind.
Vieles deutet auf eine russische Beteiligung hin, doch das sind lediglich
Mutmaßungen und Indizien.
Trotzdem erfuhr der russische
Staat verschiedene Sanktionen. Seitdem bleibt zahlreichen Politikern und
Staatsbürgern Russlands die Einreise in die EU-Staaten und USA versagt, deren
Konten wurden ferner eingefroren. Außerdem dürfen bestimmte Produkte nicht nach
Russland ausgeführt werden. Deutsche Unternehmen müssen deswegen Geschäfte mit
russischen Partnern einbüßen, während die USA seit den Sanktionen 2014 ihre Exporte nach Russland ausbauen konnte. Kurioserweise sanktionieren die EU und
USA sich nicht selbst, indem sie den Import von russischen Erdgas und -öl verweigern.
Momentan erlebt zwar die russische
Wirtschaft und Währung eine vergleichsweise kleine Talfahrt, aber ob dies im
Zusammenhang mit den Sanktionen steht, ist nicht eindeutig belegbar. An die Wirkung der Sanktionen zweifelt auch Eckhard Cordes, der Aufsichtsratsvorsitzende
von Bilfinger. Vielmehr liegt der aktuelle Niedergang der russischen Wirtschaft
und des Rubels am aktuellen Ölpreis begründet, der durch das Ausschöpfen der
saudischen Swing-Kapazität in Mitleidenschaft gezogen wird. Seit ungefähr einem Monat steigt der Ölpreis wieder und somit auch der Rubelkurs.
3. EU-interne Konsequenzen
War am Anfang noch eine starke polnische
Beteiligung im Vorfeld und am Anfang der Ukrainekrise auszumachen, ist nun
nichts mehr von polnischer Seite zu vernehmen, außer dem Wunsch nach mehr
Sicherheit vor Russland.
Aleksander Kwaśniewski diente anfänglich
der EU noch als Werber für die EU-Osterweiterung. Das ist durchaus passend, war
aber sehr ungeschickt. Viele Polen – obwohl sie sehr pro-europäisch sind – sind
beseelt von der polnischen Größe aus dem Mittelalter, als Polen in der
Jagiellonen-Dynastie von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte, und von der
historischen Schmach, als in der Neuzeit Polen von der Landkarte verschwandt.
Außerdem herrscht große Sehnsucht nach der ukrainischen Region um Lwiw, dem
ehemals österreichischen Lemberg. Im Polnisch-Sowjetischen Krieg von 1919 bis
1921 erzielte die damals polnische Armee enorme Geländegewinne im damaligen
Sowjetrussland. Die damaligen Westmächte schufen daraufhin die Curzon-Linie. Dies
ist mehr oder weniger ein willkürlicher Grenzverlauf, der nicht-polnische
Gebiete den Polen zuschlägt, während polnische Gebiete an Sowjetrussland
fielen. So auch das Gebiet um Lwiw, das nach dem Frieden von Riga von 1921
polnisch wurde, allerdings östlich der Curzon-Linie lag und damit eigentlich zu
Sowjetrussland gehören sollte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Gebiet
an die Sowjetunion, weil die Rote Armee diese Gegend besetzt hielt und mit dem
Verweis auf die Curzon-Linie für sich beanspruchte.
Zwar war Radosław Sikorski als
polnischer Außenminister ein Realpolitiker par excellence, jedoch vermochte er es
auch nicht die Ukrainekrise zu beenden. Nach seinen ehrlichen Worten über Europa, Deutschland und die USA sowie nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Ewa Kopacz als neue polnische Regierungschefin verlor Sikorski sein Amt als Außenminister und wurde Parlamentsvorsitzender. Damit
verschwand der letzte Pole aus dem EU-Bündnis zur Überwindung der Krise in der
Ukraine und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als auch sein
französischer Amtskollege François Fabius konnten sich ungestört um die
Ukrainekrise kümmern.
Das stärkte durchaus das in
letzter Zeit angeknackte deutsch-französische Verhältnis, weil in der EU-Finanz-
und Wirtschaftspolitik Deutsche und Franzosen neuerdings gegensätzliche
Positionen beziehen. Diese fiskalischen und ökonomischen Probleme wurden zwar
nicht beseitigt, doch festigte sich die Beziehung zwischen beiden Regierungen,
besonders zwischen Bundeskanzler Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident
François Hollande. Doch die beiden schafften bei den Minsker Verhandlungen vom
12. Februar 2015 nicht klare, verbindliche Abmachungen zu erzielen, weswegen noch
immer Menschen in der Ostukraine sterben.
Ferner erfuhr die EU eine weitere
Dimension während der Ukrainekrise. Russland unter Präsident Putin zeigt mit seinem
Staatsverständnis und seiner einigermaßen erfolgreichen Wirtschaft auf, wie
wenig alternativlos Merkels Politik ist. Das erkannten die Griechen spätestens bei
der letzten Parlamentswahl und wählten SYRIZA. Der neue griechische Ministerpräsident
Alexis Tsipras sprach sich gegen weitere Sanktionen gegenüber Russland aus. Das
ist jedoch keine vollkommene Hinwendung zu Russland. Allerdings befürchtete der
Politikwissenschaftler Samuel Huntington bereits in seinem berühmten Buch „Kampf
der Kulturen“, dass sich das orthodoxe Griechenland eventuell dem orthodoxen
Russland zuwendet.
Doch nicht nur Griechenland ist
Russland ehrlicherweise wohlgesonnen, sondern auch Bulgarien, dessen Wirtschaft
traditionell eng mit der russischen verbunden ist, und das große Mengen an
Erdgas- und -öl aus Russland bezieht. Auch slowakische, tschechische,
ungarische und slowenische Politiker sind weniger kritisch gegenüber Russland
als andere EU-Staaten.
Und so mutet das deutsch-französische
Bündnis wie eine Form der Symbolpolitik an, wenn sich Merkel und Hollande in
Außenpolitik gegenüber Russland versuchen. Zweifellos ist den EU-Bürgern die
Krise in der Ukraine mehrheitlich egal. Doch Merkel und Hollande hasten von
Gipfel zu Gipfel, um ihren jeweiligen Unwillen zu Kompromissbereitschaft und zu
Reformen zu kaschieren. Auf der einen Seite will Bundeskanzler Merkel nicht vom
deutschen Austeritätsprinzip abweichen, und auf der anderen Seite will
Präsident Hollande Frankreich keinen notwendigen Reformen unterziehen. Und so
dient den beiden Politikern Außenpolitik als Mittel zur Ablenkung von
heimischer Politik. Das zeugt von tatsächlicher Gleichgültigkeit gegenüber der
Ukraine.
4. Weißrussische Konsequenzen
Als lachender Dritter steht der
weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko auf dem Friedensgipfel im weißrussischen Minsk am 05. September 2014 sowie am 12. Februar 2015.
Lukaschenko ist Gastgeber, war aber vor der Krise in der Ukraine der letzte
Aussätzige in Europa, weil er Wahl manipuliert hat. Auch in Russland ist er wenig wohl gelitten. Mit den Gipfeln in Minsk erfuhr Lukaschenko eine
Aufwertung seiner Person.
5. US-amerikanische
Konsequenzen
Dass US-Präsident Barack Obama
eher ein Mann der großen Worte ist, ist hinlänglich bekannt. Und so wählten die US-Bürger bei den letzten Midterm-Wahlen im Jahr 2014 mehrheitlich Republikaner in den US-Senat. Damit ist Obama für die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit
eine lame duck, eine lahme Ente, weil die Republikaner neben dem
US-Repräsentantenhaus nun auch im Senat die Mehrheit stellen. Ob nun
Republikaner oder Demokraten – welchen Unterschied macht das? Sicherlich nur
einen marginalen. Der Grund für den republikanischen Wahlsieg mag überwiegend in
ObamaCare liegen. Dieses Programm sorgt für Empörung bei den weißen, anglosächsischen Protestanten (im Englischen auch kurz WASP genannt), die
mehrheitlich bei den sogenannten Midterms wählen gehen. Doch allgemeinen wird
auch Obamas Unentschlossenheit bemängelt, was sich ebenfalls in der
US-Außenpolitik äußert. Doch ist es wirklich Unentschlossenheit, wenn man sich
nicht für einen Krieg und Aufrüstung ausspricht? Wohl kaum.
Den tatsächlichen Unterschied
zwischen Republikanern und Demokraten findet man im Umgang mit Militär und
Krieg. Während die Demokraten eher zurückhaltend mit Militär und Krieg umgehen,
propagieren die Republikaner geradezu die Verheißungen durch Krieg und Militär.
So meldete sich im Zuge der Ukrainekrise auch wieder der ehemalige republikanische
US-Präsidentschaftskandidat John McCain zu Wort, indem er eine militärische
Aufrüstung der ukrainischen Armee befürwortete. McCain wurde früher einmal mit den Worten „Bomb, bomb, bomb Iran!“ auf die Melodie des Beach-Boys-Liedes „Barbara Ann“ zitiert. Doch die weiterführenden Konsequenzen einer Bewaffnung der
ukrainischen Armee durch die USA scheint McCain nicht aufzugehen. Das heizte
den Konflikt in der Ukraine und mit Russland nur noch weiter an.
Der Anstieg der US-amerikanischen
Wirtschaftsexporte nach Russland scheinen eher unbeabsichtigt, als dass man
diesen weitere Beachtung schenken müsste.
Insofern kennt in der aktuellen Ukrainekrise
nur Verlierer. Die Ukraine versinkt im Chaos. Russland erfährt einschneidende,
aber verkraftbare Sanktionen. Europäische Politiker versteigen sich in Nebensächlichkeiten,
anstatt notwendige Reformen in Europa durchzuführen, damit die EU auch noch in
Zukunft besteht. Der weißrussische Präsident Lukaschenko freut sich über seine
neue Aufmerksamkeit, doch tatsächliche Unterstützung durch Russland oder die EU
erfährt er auch nicht. Und die US-amerikanischen Politiker verkennen einerseits
die politische Wirklichkeit und andererseits zeichnet sich US-Präsident Obama
geradezu durch außenpolitische Besonnenheit aus. Wie lang das gut geht, ist
fraglich. Auch Obama scheint Opfer seiner Umstände zu sein, weil er immer mehr
die Rolle eines Getriebenen einnimmt.
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