Samstag, 27. September 2014

„Ich will leben!“ (Teil II) – Ein weiteres Interview mit Theo, 30, arbeitslos



Henning: Danke, Theo, dass Du so kurzfristig für ein weiteres Interview zur Verfügung stehst. Die Klickzahlen beim letzten Interview schossen durch die Decke, und es gab einige Reaktionen.

Theo: Kein Ding. Wir waren bei unserem Gespräch auch vergleichsweise an der Oberfläche, wobei wir viel über Gott und so gesprochen haben. Weißt Du, was mein Name bedeutet? Theo ist ja die Kurzform von Theodor und bedeutet „Gottes Geschenk“. Vielleicht leitet sich der Teil „-dor“ nicht vom griechischen dōron (δώρον „Geschenk“) ab, sondern von Bewunderung. Damit bin ich ein Gottesbewunderer. Vergleichbar mit dem arabischen Namen Abdullah (عبد الله). Das heißt „Diener Gottes“. Und alle arabischen Namen, die auf „-allah“ oder „-ullah“ enden, beinhalten die Hingabe zu Gott. Aber das nur nebenbei.

Henning: Okay, Abdullah…

Theo: Nein, sprich es bitte ein bisschen breiter.

Henning: Verstanden, aber ein anderes Mal bitte. Wie geht es Dir?

Theo: Die Frage hatten wir doch auch das letzte Mal. Körperlich geht es mir wie immer gut.

Henning: Ich verstehe, bitte entschuldige. Ich hielt die Frage trotzdem für angebracht, auch wenn die meisten eh nur beiläufig „gut“ antworten. Kannst Du Dir erklären, weshalb unser erstes Interview auf solch große Reaktionen stieß?

Theo: Vermutlich haben sich viele durch mein Interview angesprochen gefühlt. Du sagtest ja im Vorfeld des zweiten Interviews, dass Du den Post kräftig beworben hattest. Damit hast Du eine große Streuung erzielt und deshalb viele Leser erreicht. Komisch ist vielleicht, dass sich scheinbar vergleichsweise viele Anhänger der Linken von dem Post angesprochen gefühlt haben.

Henning: Ist das schlimm?

Theo: Nein, Hartz-IV ist vielleicht eines ihrer Kernthemen. Bei vielen Mitgliedern und Anhängern der Linken verengt sich das vielleicht auf nur dieses eine Thema. Hartz-IV ist nicht schön. Das habe ich nun auch begriffen. Das war mir vorher nicht gänzlich bewusst. Ich fand es zwar auch nicht toll und wollte es nie erleben, aber mittlerweile lehne ich es ab. Dass viele Linke so auf Hartz-IV fixiert sind, ist mir allerdings auch suspekt. Das scheint nicht grundsätzlich ernstgemeint. Viele Anhänger der Linken sind sozialschwach, weil sie entweder arbeitslos oder Aufstocker sind. Doch die wählen dann nur so lange die Linke, bis es ihnen selbst besser geht. Manche der Linken träumen vielleicht sogar von einem gesetzlichen Grundeinkommen. Jedoch sprach sich selbst Karl Marx für eine Leistungsgesellschaft aus. Damit konterkarieren diese Anhänger ihre eigene Lieblingspartei und Karl Marx. Außerdem will ich doch arbeiten und meine Leistung erbringen.

Henning: Warum kannst Du keine Leistung erbringen?

Theo: Ich glaube, dass wir einem grundsätzlichen Problem aufsitzen. Angela Merkel propagiert gern unsere geringe Jugendarbeitslosigkeit. Damit sind wir angeblich europaweit an der Spitze. Okay, das sind wir auch. Das suggeriert eine allgemein geringe Arbeitslosenquote. Jedoch können Bürger nur Sozialleistungen nach SGB II beziehen, wenn Sie entweder eine Ausbildung abgeschlossen haben oder älter als 25 sind. Damit fallen so allerhand aus der Statistik. Außerdem sind nicht alle Erwerbslosen gemeldet. Einerseits weil sie sich scheuen, andererseits weil ihnen die Behandlung zu unmenschlich ist. Hartz-IV hatte sicherlich viele gute Absichten, jedoch ist die Umsetzung schlecht. Mit meinem abgeschlossenen Geschichtsstudium habe ich zwar eine Berufsausbildung. Diese ist jedoch vollkommen impraktikabel. Die Umsetzung von Hartz-IV scheitert oftmals an der Jobcoaches vor Ort. Sie haben in der Regel zu viele Kunden und rigide Vorgaben von oben. Dann fehlt denen auch die Vorstellung, was dem jeweiligen „Kunden“ nutzbringend ist.

Henning: Und zwar?
 
Theo: Ich brauche kein Video-Profil, was nicht mit den Sozialen Medien verknüpft werden kann, und das nur von örtlichen Arbeitgeber-Partnern eingesehen wird. Denn das sind ausschließlich Arbeitgeber, die Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor suchen. Sei es als Zeitarbeiter, sei es als Mitarbeiter an der Kasse einer Bäckerei. Und dann nennt sich die verantwortliche Abteilung auch noch Arbeitgebervermittlungsservice! Wenn die bei jedem seriöseren Arbeitgeber anriefen, würde das stets abschreckend wirken. Das ist doch ein Nachteil für den jeweiligen Bewerber.

Henning: Was ist denn so schlimm an Zeitarbeit?

Theo: Eigentlich nichts, jedoch bin ich nicht technisch versiert. Ich habe also keine Ahnung von den Berufen, in der die Zeitarbeitsbranche am meisten vertreten ist.

Henning: Aber es gäbe einen Mindestlohn.

Theo: Zweimal nein. Einerseits bin ich ja mittlerweile Langzeitarbeitsloser, damit falle ich beim Mindestlohn raus, obwohl ich die gleiche Arbeit leistete. Und dann finden solche Beschäftigungsverhältnisse immer weniger Anwendung. Zeitarbeit wurde nämlich durch Werksverträge ersetzt. Das sind keine klassischen Arbeitsverträge. Werkverträge beinhalten Entlohnungen pro geleistete Arbeit. Und Du kannst Dir vorstellen, dass dabei das Entgelt vergleichsweise gering ist.

Henning: Außerdem gäbe es keinen Urlaub, oder zumindest keinen Anspruch darauf!

Theo: Genau. Aber ich möchte noch bitte weiter die Versäumnisse der Jobcoaches aufzählen.

Henning: Bitte.

Theo: Das Video-Profil ist nur eine Sache. Dann gibt es irgendwelche dubiosen Bildungsträger. Die haben nur Beschäftigung, weil der Staat Outsourcing, also Bürokratieabbau, betreibt, und weil es Arbeitslose wie mich gibt. Ansonsten wären die auch arbeitslos. Das ist schon komisch. Außerdem beinhaltet Bürokratieabbau nichts weiter als Sozialabbau. Jedenfalls erklären diese Trainer mir, wie man Bewerbungen schreibt. In meiner Position brauche ich ausgefallene Bewerbungen, und die lutschen mich jedoch rund, damit ich irgend so eine Standardbewerbung verfasse. Das habe ich zwar getan, aber damit hatte ich noch weitaus weniger Erfolg als mit meinen vorherigen Bewerbungen.

Henning: Schade.

Theo: Ja, irgendwo schon. Es war jedenfalls ein Versuch wert. So kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, etwas verpasst zu haben. Aber eigentlich hätte sich das Jobcenter das Geld locker sparen können. Schließlich finde ich viele der Teilnehmer noch immer als arbeitslos vor. Und das bei einer angeblichen Vermittlungsquote von 80 Prozent.

Henning: Was ist mit dem Bildungsgutschein, um den Du Dich bemühen wolltest.

Theo: Das läuft. Mein erster Versuch wurde ja abgelehnt, weil das eine zu große Entfernung gewesen wäre. Nun habe ich vor Ort gesucht und habe zwei konkrete Angebote. Doch Gewissheit bringen diese Weiterbildungen auch nicht unbedingt.

Henning: Und nun?

Theo: Ich werde es trotzdem versuchen. Was bleibt mir sonst übrig? In Deutschland wollen die Personaler zertifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten. Da reicht es nicht aus, dass man sagt, dass man etwas könne. Nein, es bedarf eines Zeugnisses. Personaler sind eben nur hochgediente Angestellte. Vielleicht eine Frau, die eigentlich nur Sekretärin und eine Karrierestufe hochklettert ist. Die haben dann also nicht zwangsläufig Ahnung von den Anforderungen. Die gehen dann rein nach den objektiven Anforderungen vor, ohne dabei dem Bewerber gerecht zu werden.

Henning: Was willst Du dagegen machen?

Theo: Was soll ich dagegen machen? Nichts, was bleibt mir übrig? Mir sagten viele, die ALG-II-Empfänger betreuen, dass die Arbeitsmarktsituation derzeit allgemein schlecht sei. Viele frische Akademiker haben eine lange Durststrecke. Oftmals länger als zwei Jahre. Trotz angeblichen Fachkräftemangel! Und so ist es vielleicht kein Wunder, dass mich das Jobcenter nicht in einen Ein-Euro-Job gesteckt hat. Vielleicht weil sie einerseits erahnen, dass ich das nicht mitmache, zumindest dauerhaft nicht. Vielleicht auch weil die Jobs so knapp sind, dass sie froh sind, wenn sie ein gelernte Verkäuferin hinter die Kasse am Supermarkt stecken können.

Henning: Das kann sein. Ich vermag das nicht einzuschätzen. Was sagst Du, wenn Dir ein Kritiker sagt, dass Du doch irgendeinen Job annehmen solltest? Egal, ob Du studiert hast.

Theo: Der redet so einfach daher.

Henning: Tatsächlich gab es einen solchen Kritiker, der einen solchen Kommentar unter den Post geschrieben hat.

Theo: Der sollte besser das erste Interview noch einmal genau lesen.

Henning: Was sagst Du den anderen Lesern, die es mit Dir gutmeinten?

Theo: Diesen Lesern danke ich sehr für ihr Mitgefühl. Vielleicht wandelt der kosmische Fluss das Mitgefühl in einen Job um.

Henning: Oh, heute ist es der kosmische Fluss und nicht die Bibel?

Theo: Schließt die Bibel etwa so was wie den kosmischen Fluss aus? Bislang kam eine Negierung dessen mir noch nicht unter.

Henning: Ja, aber Glück hattest Du bislang auch noch nicht richtig wirklich.

Theo: Ich glaube immer gern zu schnell an mein Glück. Vor mehr als einem Jahr wollte mich ein hauptamtlicher Kollege protegieren. Er meinte, ich passe gut zur Ver.di. Dann rief er nach mehr als einem halben Jahr in diesem Frühjahr bei mir an. Ich solle mich auf eine Stelle bewerben und meinen Lebenslauf abschicken. Dem kam ich nach. Dann dauerte es wieder fast ein halbes Jahr, bis endlich eine Einladung erfolgte. Den Chef habe ich zwischenzeitig zwar mehrfach angerufen. Der sagte mir immer, dass alles noch nicht abgeschlossen und ich eine sehr gute Wahl wäre. Doch scheinbar… Jedenfalls war ich dann beim Vorstellungsgespräch. Dort wurde ich abgelehnt, obwohl mein Protektor meinte, ich wäre passend. Doch der hat mich bloß beim Chef angekündigt, mehr auch nicht. Der Grund für meine Ablehnung war ein einziges Manko. Mir fehlte ein Seminar. Und dann regt sich Ver.di über den Ex-Telekom-Vorstand Sattelberger auf, der in der Huffington Post Deutschland mehr Engagement und Leistung der jungen Generation abverlangte? Das hat einen faden Beigeschmack, auch bei der Ver.di!

Henning: Das ist bedauerlich.

Theo: Ja, sehr. Ich hätte den Job gern gemacht, schließlich bin ich der König der Gewerkschaft.

Henning: Das glaube ich Dir gern. Für unser heutiges Interview möchte ich Dir jedoch erst einmal danken.

Theo: In Ordnung.

Henning: Vielen Dank.

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