Henning: Danke, Theo, dass Du so kurzfristig für ein weiteres
Interview zur Verfügung stehst. Die Klickzahlen beim letzten Interview schossen
durch die Decke, und es gab einige Reaktionen.
Theo: Kein Ding. Wir waren bei unserem Gespräch auch
vergleichsweise an der Oberfläche, wobei wir viel über Gott und so gesprochen
haben. Weißt Du, was mein Name bedeutet? Theo ist ja die Kurzform von Theodor
und bedeutet „Gottes Geschenk“. Vielleicht leitet sich der Teil „-dor“ nicht
vom griechischen dōron (δώρον „Geschenk“) ab, sondern von Bewunderung. Damit
bin ich ein Gottesbewunderer. Vergleichbar mit dem arabischen Namen Abdullah (عبد الله). Das heißt „Diener Gottes“. Und alle arabischen Namen, die auf
„-allah“ oder „-ullah“ enden, beinhalten die Hingabe zu Gott. Aber das nur
nebenbei.
Henning: Okay, Abdullah…
Theo: Nein, sprich es bitte ein bisschen breiter.
Henning: Verstanden, aber ein anderes Mal bitte. Wie geht es Dir?
Theo: Die Frage hatten wir doch auch das letzte Mal. Körperlich
geht es mir wie immer gut.
Henning: Ich verstehe, bitte entschuldige. Ich hielt die Frage
trotzdem für angebracht, auch wenn die meisten eh nur beiläufig „gut“ antworten.
Kannst Du Dir erklären, weshalb unser erstes Interview auf solch große
Reaktionen stieß?
Theo: Vermutlich haben sich viele durch mein Interview angesprochen
gefühlt. Du sagtest ja im Vorfeld des zweiten Interviews, dass Du den Post
kräftig beworben hattest. Damit hast Du eine große Streuung erzielt und deshalb
viele Leser erreicht. Komisch ist vielleicht, dass sich scheinbar vergleichsweise
viele Anhänger der Linken von dem Post angesprochen gefühlt haben.
Henning: Ist das schlimm?
Theo: Nein, Hartz-IV ist vielleicht eines ihrer Kernthemen. Bei
vielen Mitgliedern und Anhängern der Linken verengt sich das vielleicht auf nur
dieses eine Thema. Hartz-IV ist nicht schön. Das habe ich nun auch begriffen.
Das war mir vorher nicht gänzlich bewusst. Ich fand es zwar auch nicht toll und
wollte es nie erleben, aber mittlerweile lehne ich es ab. Dass viele Linke so
auf Hartz-IV fixiert sind, ist mir allerdings auch suspekt. Das scheint nicht
grundsätzlich ernstgemeint. Viele Anhänger der Linken sind sozialschwach, weil
sie entweder arbeitslos oder Aufstocker sind. Doch die wählen dann nur so lange
die Linke, bis es ihnen selbst besser geht. Manche der Linken träumen
vielleicht sogar von einem gesetzlichen Grundeinkommen. Jedoch sprach sich selbst
Karl Marx für eine Leistungsgesellschaft aus. Damit konterkarieren diese
Anhänger ihre eigene Lieblingspartei und Karl Marx. Außerdem will ich doch
arbeiten und meine Leistung erbringen.
Henning: Warum kannst Du keine Leistung erbringen?
Theo: Ich glaube, dass wir einem grundsätzlichen Problem aufsitzen.
Angela Merkel propagiert gern unsere geringe Jugendarbeitslosigkeit. Damit sind
wir angeblich europaweit an der Spitze. Okay, das sind wir auch. Das suggeriert
eine allgemein geringe Arbeitslosenquote. Jedoch können Bürger nur
Sozialleistungen nach SGB II beziehen, wenn Sie entweder eine Ausbildung
abgeschlossen haben oder älter als 25 sind. Damit fallen so allerhand aus der
Statistik. Außerdem sind nicht alle Erwerbslosen gemeldet. Einerseits weil sie
sich scheuen, andererseits weil ihnen die Behandlung zu unmenschlich ist.
Hartz-IV hatte sicherlich viele gute Absichten, jedoch ist die Umsetzung
schlecht. Mit meinem abgeschlossenen Geschichtsstudium habe ich zwar eine
Berufsausbildung. Diese ist jedoch vollkommen impraktikabel. Die Umsetzung von
Hartz-IV scheitert oftmals an der Jobcoaches vor Ort. Sie haben in der Regel zu
viele Kunden und rigide Vorgaben von oben. Dann fehlt denen auch die
Vorstellung, was dem jeweiligen „Kunden“ nutzbringend ist.
Henning: Und zwar?
Theo: Ich brauche kein Video-Profil, was nicht mit den Sozialen
Medien verknüpft werden kann, und das nur von örtlichen Arbeitgeber-Partnern
eingesehen wird. Denn das sind ausschließlich Arbeitgeber, die Arbeitskräfte im
Niedriglohnsektor suchen. Sei es als Zeitarbeiter, sei es als Mitarbeiter an
der Kasse einer Bäckerei. Und dann nennt sich die verantwortliche Abteilung
auch noch Arbeitgebervermittlungsservice! Wenn die bei jedem seriöseren
Arbeitgeber anriefen, würde das stets abschreckend wirken. Das ist doch ein
Nachteil für den jeweiligen Bewerber.
Henning: Was ist denn so schlimm an Zeitarbeit?
Theo: Eigentlich nichts, jedoch bin ich nicht technisch versiert.
Ich habe also keine Ahnung von den Berufen, in der die Zeitarbeitsbranche am
meisten vertreten ist.
Henning: Aber es gäbe einen Mindestlohn.
Theo: Zweimal nein. Einerseits bin ich ja mittlerweile
Langzeitarbeitsloser, damit falle ich beim Mindestlohn raus, obwohl ich die
gleiche Arbeit leistete. Und dann finden solche Beschäftigungsverhältnisse
immer weniger Anwendung. Zeitarbeit wurde nämlich durch Werksverträge ersetzt.
Das sind keine klassischen Arbeitsverträge. Werkverträge beinhalten
Entlohnungen pro geleistete Arbeit. Und Du kannst Dir vorstellen, dass dabei
das Entgelt vergleichsweise gering ist.
Henning: Außerdem gäbe es keinen Urlaub, oder zumindest keinen
Anspruch darauf!
Theo: Genau. Aber ich möchte noch bitte weiter die Versäumnisse der
Jobcoaches aufzählen.
Henning: Bitte.
Theo: Das Video-Profil ist nur eine Sache. Dann gibt es
irgendwelche dubiosen Bildungsträger. Die haben nur Beschäftigung, weil der
Staat Outsourcing, also Bürokratieabbau, betreibt, und weil es Arbeitslose wie
mich gibt. Ansonsten wären die auch arbeitslos. Das ist schon komisch. Außerdem
beinhaltet Bürokratieabbau nichts weiter als Sozialabbau. Jedenfalls erklären
diese Trainer mir, wie man Bewerbungen schreibt. In meiner Position brauche ich
ausgefallene Bewerbungen, und die lutschen mich jedoch rund, damit ich irgend so
eine Standardbewerbung verfasse. Das habe ich zwar getan, aber damit hatte ich
noch weitaus weniger Erfolg als mit meinen vorherigen Bewerbungen.
Henning: Schade.
Theo: Ja, irgendwo schon. Es war jedenfalls ein Versuch wert. So
kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, etwas verpasst zu haben. Aber
eigentlich hätte sich das Jobcenter das Geld locker sparen können. Schließlich
finde ich viele der Teilnehmer noch immer als arbeitslos vor. Und das bei einer
angeblichen Vermittlungsquote von 80 Prozent.
Henning: Was ist mit dem Bildungsgutschein, um den Du Dich bemühen
wolltest.
Theo: Das läuft. Mein erster Versuch wurde ja abgelehnt, weil das
eine zu große Entfernung gewesen wäre. Nun habe ich vor Ort gesucht und habe zwei
konkrete Angebote. Doch Gewissheit bringen diese Weiterbildungen auch nicht
unbedingt.
Henning: Und nun?
Theo: Ich werde es trotzdem versuchen. Was bleibt mir sonst übrig?
In Deutschland wollen die Personaler zertifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten.
Da reicht es nicht aus, dass man sagt, dass man etwas könne. Nein, es bedarf
eines Zeugnisses. Personaler sind eben nur hochgediente Angestellte. Vielleicht
eine Frau, die eigentlich nur Sekretärin und eine Karrierestufe hochklettert ist.
Die haben dann also nicht zwangsläufig Ahnung von den Anforderungen. Die gehen
dann rein nach den objektiven Anforderungen vor, ohne dabei dem Bewerber
gerecht zu werden.
Henning: Was willst Du dagegen machen?
Theo: Was soll ich dagegen machen? Nichts, was bleibt mir übrig?
Mir sagten viele, die ALG-II-Empfänger betreuen, dass die Arbeitsmarktsituation
derzeit allgemein schlecht sei. Viele frische Akademiker haben eine lange
Durststrecke. Oftmals länger als zwei Jahre. Trotz angeblichen Fachkräftemangel!
Und so ist es vielleicht kein Wunder, dass mich das Jobcenter nicht in einen
Ein-Euro-Job gesteckt hat. Vielleicht weil sie einerseits erahnen, dass ich das
nicht mitmache, zumindest dauerhaft nicht. Vielleicht auch weil die Jobs so
knapp sind, dass sie froh sind, wenn sie ein gelernte Verkäuferin hinter die
Kasse am Supermarkt stecken können.
Henning: Das kann sein. Ich vermag das nicht einzuschätzen. Was
sagst Du, wenn Dir ein Kritiker sagt, dass Du doch irgendeinen Job annehmen
solltest? Egal, ob Du studiert hast.
Theo: Der redet so einfach daher.
Henning: Tatsächlich gab es einen solchen Kritiker, der einen
solchen Kommentar unter den Post geschrieben hat.
Theo: Der sollte besser das erste Interview noch einmal genau
lesen.
Henning: Was sagst Du den anderen Lesern, die es mit Dir
gutmeinten?
Theo: Diesen Lesern danke ich sehr für ihr Mitgefühl. Vielleicht
wandelt der kosmische Fluss das Mitgefühl in einen Job um.
Henning: Oh, heute ist es der kosmische Fluss und nicht die Bibel?
Theo: Schließt die Bibel etwa so was wie den kosmischen Fluss aus?
Bislang kam eine Negierung dessen mir noch nicht unter.
Henning: Ja, aber Glück hattest Du bislang auch noch nicht richtig
wirklich.
Theo: Ich glaube immer gern zu schnell an mein Glück. Vor mehr als
einem Jahr wollte mich ein hauptamtlicher Kollege protegieren. Er meinte, ich
passe gut zur Ver.di. Dann rief er nach mehr als einem halben Jahr in diesem
Frühjahr bei mir an. Ich solle mich auf eine Stelle bewerben und meinen
Lebenslauf abschicken. Dem kam ich nach. Dann dauerte es wieder fast ein halbes
Jahr, bis endlich eine Einladung erfolgte. Den Chef habe ich zwischenzeitig
zwar mehrfach angerufen. Der sagte mir immer, dass alles noch nicht abgeschlossen
und ich eine sehr gute Wahl wäre. Doch scheinbar… Jedenfalls war ich dann beim
Vorstellungsgespräch. Dort wurde ich abgelehnt, obwohl mein Protektor meinte,
ich wäre passend. Doch der hat mich bloß beim Chef angekündigt, mehr auch
nicht. Der Grund für meine Ablehnung war ein einziges Manko. Mir fehlte ein
Seminar. Und dann regt sich Ver.di über den Ex-Telekom-Vorstand Sattelberger auf, der in der Huffington Post Deutschland mehr Engagement und Leistung der
jungen Generation abverlangte? Das hat einen faden Beigeschmack, auch bei der
Ver.di!
Henning: Das ist bedauerlich.
Theo: Ja, sehr. Ich hätte den Job gern gemacht, schließlich bin ich
der König der Gewerkschaft.
Henning: Das glaube ich Dir gern. Für unser heutiges Interview
möchte ich Dir jedoch erst einmal danken.
Theo: In Ordnung.
Henning: Vielen Dank.
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