Am Freitag, dem 01. August 2014,
erhielt ich einen sonderbaren Brief. Absender: Nationale Kohorte. Das warf in
mir Fragen auf: „Huch, was hast Du nun schon wieder angestellt? Das klingt so
rechtslastig. Hast Du im Suff wieder Bart Simpson oder Tracy Jordan gespielt?
Du hast doch in der letzten Zeit gar nicht exzessiv Alkohol konsumiert!“ Auf
dem zweiten Blick sah ich die Adresse der Universität. Die Verleihung einer
Doktorwürde oder die Berufung zum Professor schien mir zu unwahrscheinlich.
Hatte ich etwa vergessen, mich auf korrekte Weise zu exmatrikulieren? Das liegt
doch schon Jahre zurück und dürfte gegebenenfalls verjährt sein. Also öffnete
ich den Brief.
Laut dem Anschreiben bin ich
einer von 200 000 durchschnittlichen Bundesbürgern, die um die Teilnahme bei
einer medizinischen Langzeitstudie gebeten wurden. Die Untersuchungen
beinhalten das volle Programm, um die Entstehung von sogenannten
Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs, Demenz oder sonstige frühzeitig zu
erkennen und diese anständig behandeln zu können. Die Untersuchungen erfolgen
bei den Epidemiologen und Sozialmedizinern. Also fragte ich bei meinem guten
Freund Professor Andreas Faldum nach. Herr Faldum ist studierter Mathematiker
und Mediziner, außerdem ist er als Biostatistiker berufstätig. In diesem Job
hat er eine andere Herangehensweise als die Epidemiologen. Während die Epidemiologen
schauen, welche Bedingungen im Vorfeld bestanden und zur Krankheit führten,
denken die Biometriker vom Ende her und werten die Krankheiten sowie
Behandlungen am Ende aus. Der gute Andreas riet mir zu Teilnahme beim
Forschungsprojekt der Epidemiologen. Also schaute ich im Internet nach den
Informationen über die Nationale Kohorte. Nachdem ich gelesen hatte, dass Biggi
Bender, die ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag,
anfänglich Bedenken gegenüber der Nationalen Kohorte geäußert hatte, fiel mir
die Entscheidung recht leicht. Schließlich sehe ich mich als eine Art
Anti-Grüner. Also rief ich am nächsten Montag gleich bei den Epidemiologen an
und sagte zu.
Am Donnerstag, dem 28. August
2014, war dann der erste Termin. Ich war einer der ersten Probanden, die an dem
Projekt teilnahmen. Das Programm begann mit der Aufklärung über den Datenschutz
und mit der Befragung über meine Lebensumstände sowie Vorerkrankungen.
Es folgten Blutdruck- und
Pulsmessungen sowie die Abgabe von Blut- und Urinproben. Außerdem noch die
Messung der Handgreifkraft, bei der ich schon fast einen Kiai, einem
japanischen Kampfschrei, zur Entfaltung der Spannung ausüben wollte. Danach kam
Zahn- und Mundhöhlenuntersuchung dran. Das habe ich mir so ausgesucht. Dann erfolgte
der spannendste Teil. Der Gedächtnis-, Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und
Feinmotoriktest. Dabei hoffte ich schon auf Zaubertricks, die ich durchschauen
sollte. Doch leider blieben die aus. Um die Chancengleichheit aller Probanden
zu wahren, habe ich sämtliche Aufgabenstellungen abgeändert.
Beim Konzentrationstest wurde ich
als erstes aufgefordert, Nachrichtensprecher zu spielen. Dazu sollte ich einen geradezu
irrsinnigen Text vorlesen, ohne zu lachen. Anfangs denkt man sich da noch so, dass
das einfach ist. Jedoch gerät man ganz einfach und ungewollt ins Schmunzeln.
Anschließend wurde ein
Gedächtnistest gemacht. Dazu sollte ich den bisherigen Verlauf der
Untersuchungen schildern. Ich schilderte bei allen drei Versuchen einen anderen
Hergang, weil ich Details wegließ und andere hinzufügte. So etwa die nicht
ernstgemeinte Beschwerde, dass es beim Blutspenden wenigstens eine kostenlose
Mahlzeit gäbe. Dafür sprach ich ein Kompliment aus, weil alles so wunderbar
sauber war. Die Sanitäranlagen seien überhaupt nicht so wie an der restlichen
Universität.
Hinterher kam ein ähnlicher Test
mit dem Aufzählen von Ziffern dran und danach ein Test zum gleichmäßigen
Bewegen der Hände.
Das waren interessante
Herausforderungen, bei denen ich recht gut abschnitt. Da dachte ich mir: „Ja, ich
habe unmedikamentiert einen zu hohen Blutdruck, ein zu starkes Immunsystem,
unbändige Kraft, schnelle Reflexe, hohe Ausdauer, eine sehr gute
Lungenkapazität, überdurchschnittliche Intelligenz und zu viel Libido. Und
jetzt auch noch eine hohe Auffassungsgabe? Mit den ganzen Eigenschaften könnten
zwei Menschen locker und einigermaßen erfolgreich vor sich hinvegetieren. Ich
sollte wohl Osmose machen.“
Nach der Prüfung meines
Geisteszustandes war dann noch abschließend die Messung der Größe, der Masse,
des Körperfetts, des Blutdrucks und des Lungenvolumens dran. Bei diesen
Untersuchungen hätte ich die ungefähren Ergebnisse bereits im Vorfeld benennen
können.
Jedenfalls waren die
Untersuchungen ein interessanter Spaß. Nun hoffe ich allerdings, dass mich
keiner aufgrund meiner doppelten Körperleistung nach Organspenden fragt. Dem
kann ich nur sagen, dass die genetischen Vorbelastungen durch meine Familie an
einen schlechten, alten Witz erinnern: „Sie haben Krebs und Demenz. Das dürfte
Sie jedoch nicht mehr lange stören.“
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