Am heutigen Mittwoch, dem 10. September
2014, lief auf Arte „Die Welle“ aus dem Jahr 2008. Es war ein schauriger Film,
der gleichzeitig so detailgetreu und realistisch unsere Gesellschaft einfing.
Der Film basiert auf einer wahren
Begebenheit im Jahr 1967, die vom US-Amerikaner Morton Rhue im gleichnamigen Buch aus dem Jahr 1981 niedergeschrieben und verfilmt wurden. Damals wie in den
schöngeistigen Werken drückten Schüler aus, dass sie bezweifeln, einer Diktatur
zu verfallen. Schließlich sei man heute ja schlauer. Diese Zweifel nimmt der
Lehrer der Klasse – in der deutschen Verfilmung Rainer Wenger, gespielt von
Jürgen Vogel – auf und inszeniert die Gleichschaltung der Jugendlichen. Dabei
entsteht eine faschistoide Gruppierung, die allmählich eine eigene Dynamik
entwickelt. Es gibt eine Bestärkung der Gruppe nach innen und eine geradezu
aggressive Abschottung nach außen. Allmählich läuft alles aus dem Ruder. Das
Experiment endet mit einem schwerverletzten Schüler, einem Selbstmord und der
Verhaftung des Lehrers.
Sowohl das Buch als auch der Film
verdeutlichen, dass (fast) jeder Mensch einem diktatorischen, faschistischen
System verfallen kann. Mir bleibt nur die Frage offen, ob wir nicht alle
bereits einem solchen System auf unterschiedliche Weise verhaftet sind.
Als ich Geschichte studierte, kam
von anderen und mir die Frage auf, ob wir in der Zwischenkriegszeit und während
des Zweiten Weltkriegs nicht auch den Nazis verfallen wären. Und wir erklärten
uns, dass die Angst uns vor den Nazis schützen würde. Diese Angst haben wir
positiv besetzt. Doch solche Gedanken sind allzu simpel, und schon ist das
Thema beiseite gewischt.
Dass man auch ohne äußerliche
Charakteristika und Mitgliedschaft eine faschistische Grundhaltung besitzen
kann, verdeutlicht uns der äußerst sehenswerte Film „Oi!Warning“ aus dem Jahr 2000. Der Charakter des Lehrers Dr. Sölde wies starke faschistische Züge auf, die
gesamte bürgerliche Gesellschaft im Film war abgehoben, moralisch verkommen und
begeisterte sich am Kampf zwischen Punks und Neonazis.
Das wirft in mir die Frage auf,
ob wir mit unserer gleichgültigen Haltung des Laissez-faire selbst Nazis sind.
Schon Franz Josef Strauß sagte auf einer Wahlkampfveranstaltung 1981 zu den
Protestierern: „Ihr wärt die besten, ihr wärt die besten Schüler von Doktor Josef Goebbels gewesen! Ihr wärt die besten Anhänger Heinrich Himmlers gewesen! Ihr seid die besten Nazis, die es je gegeben hat!“ Das war zwar ein geistiger
Totalausfall von Strauß, doch hat er nicht recht?
Was haben wir je gegen
Wahlerfolge der NPD unternommen, gegen die Neonazi-Aufmärsche, gegen
neofaschistische Schmierereien, gegen neonazistische Ausschreitungen und gegen
die alltägliche Diskriminierung von Migranten, Andersgläubigen, Homosexuellen,
Roma-Angehörigen und anderer?
Zwar tun wir Neonazis allzu
leichtfertig als dumm ab und bringen damit unsere geistige Überlegenheit zum
Ausdruck, doch schaffen wir damit nicht auch eine Bestärkung nach innen sowie
eine Abschottung nach außen?
Somit bin ich der festen
Überzeugung, dass Lars von Trier recht hat, als er sich zu seinen
Hitler-Äußerungen bei den Filmfestspielen von Cannes 2011 rechtfertigte und
erklärte, „dass in jedem von uns ein kleiner Nazi steckt.“ Leider.
Das heißt jedoch nicht, dass wir
Vorurteile aus den Köpfen verbannen sollen. Klischees über Gruppen ordnen
unsere Gedanken. Und ich möchte nicht das Bild eines Franzosen mit Baskenmütze,
blauweißquergestreiften Ringel-Shirt, Menjou-Bärtchen und Baguette unter dem
Arm missen. Genauso weiß ich durch meine Stereotype, dass unsere muslimischen
Mitbürger die besten Gemüseläden führen. Und dass Homosexuelle die besten
Varieté-Shows machen.
Uns fehlen lediglich ein
allgemein entschlosseneres Handeln gegen Nazis und dazu noch ein eigener Kopf.
Jeder muss sich selbst mit dem Nazi-Gedankengut auseinandersetzen und für sich
allein erklären, warum das falsch ist. Dabei steht die Falschheit dieser
Ideologie nicht zur Debatte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen