Dienstag, 8. September 2015

Wandel durch Politik



Es gab ‘mal eine Zeit, da galt Andrea Nahles als links. Sie war erfrischend und aufmüpfig. Sie bot den alten Herren in der SPD oft die Stirn. So etwa Kurt Beck, Franz Müntefering und vielen anderen. Geschadet hat es ihr nicht unbedingt. Bei zwei Schritten, die sie vorwärts machte, folgte einer rückwärts. Doch so kommt man ja auch voran. Mit dieser Strategie wurde die ehemalige Bundesvorsitzende der Jusos erst Bundestagsabgeordnete, dann stellvertretende Parteivorsitzende und anschließend Generalsekretärin. Mittlerweile ist sie Bundesarbeits- und -sozialministerin. Sie hat es also geschafft.

Dafür musste sie allerdings allerhand linke Position bis zur politischen Farblosigkeit räumen. So sagte Nahles in einem Interview des aktuellen SPIEGEL (37/2015) aus:

„Ich bin nicht dafür, die Vorrangprüfung grundsätzlich abzuschaffen. Sie hat Gründe: Es gibt immer noch 240 000 junge Leute, die nicht ins Arbeitsleben finden, und eine Million Langzeitarbeitslose. Die dürfen wir nicht vergessen. Aber dort, wo unnötige Hürden sind, sollten wir die Prüfung aussetzen. Nach drei Monaten Aufenthalt kann ich mir eine befristete Aussetzung der Vorrangprüfung für die Dauer von drei Jahren gut vorstellen. Das setzt auch Kapazitäten bei der Bundesagentur frei für andere drängende Aufgaben.“

Das klingt vernünftig, weil einerseits viele Asylsuchende den unbändigen Willen zur Arbeitsaufnahme in sich tragen. Andererseits gibt es aber noch zahlreiche Arbeitslose in der Bundesrepublik. Darunter viele mit geringer Bildung oder Migrationshintergrund. Mit der Aussetzung der Vorrangprüfung spielte Nahles arbeitswillige Jobsuchende gegeneinander aus. Und damit auch Migranten gegen Asylsuchende. Die Vorrangprüfung soll laut SPIEGEL-Interview nur bedingt bestehen bleiben, damit kein Nicht-EU-Bürger Arbeitsplätze wegnehmen kann. Doch einen Tag später klingt Nahles bei der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ ganz anders. Im ARD-Interview spricht Nahles von der frühzeitigen Prüfung der Flüchtlinge bezüglich ihrer jeweiligen Qualifikationen. Auf die Frage der Vorrangprüfung erwidert sie:

„Na, gut, da hab‘ ich als Ministerin schon auch erhebliche Kompetenzen. Das kann ich auch über den Verordnungsweg machen. Was heißt das? Das heißt eigentlich, dass die Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter sich nicht mit bürokratischen Verfahren aufhalten, sondern mehr Arbeitszeit in die Vermittlung der Leute investieren können. Darum geht’s! Das müssen wir erreichen!“

Somit hat Nahles die Aussetzung der Vorrangprüfung zugegeben. Doch was beinhaltet die Vorrangprüfung wirklich? Was steckt dahinter? Die Akademikerquote in Deutschland liegt zwar unter dem OECD-Durchschnitt, jedoch im weltweiten Schnitt ist sie sehr hoch. Im europäischen und außereuropäischen Ausland gibt es selten vergleichbare Ausbildungsgänge wie in der Bundesrepublik. Und zwar kein Duales Studium, kein vergleichbare Berufsausbildung. Somit haben asylsuchende Bewerber erst einmal einen objektiven Nachteil, weil Ihnen vergleichbare Berufsabschlüsse und Qualifikationen fehlen. Insofern ist eine Vorrangprüfung tatsächlich überflüssig, weil Arbeitgeber nur nach den besten und fähigsten Arbeitskräften suchen. Diese Eigenschaften lassen sich sehr gut mithilfe von Qualifikationen nachweisen. Gleichzeitig mangelt es jedoch auch vielen Flüchtlingen an entsprechenden Deutschkenntnissen, wogegen Andrea Nahles fairerweise vorgehen möchte.

Damit aber asylsuchende Bewerber ohne Vorrangprüfung auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt bestehen können, müssen sie bei gleicher Arbeit ein geringeres Entgelt in Kauf nehmen. Schließlich bringen sie geringere Qualifikationen mit. Was ist also die Vorrangprüfung wirklich? Einerseits eine Besänftigung dummer, deutscher Befindlichkeiten und andererseits eine Schutzmaßnahme für Flüchtlinge vor ausbeuterischen Arbeitgebern in Deutschland. Außerdem steht zu befürchten, dass die Asylsuchenden nicht einmal den Mindestlohn erhalten, weil sie entweder unter Maßnahmen zur Förderung des Berufseinstiegs durch die Arbeitsagentur fallen oder als Langzeitarbeitslose angesehen werden. Damit schafft Andrea Nahles für eine Ausweitung des Niedriglohnsektors. Und indem sie die Vorrangprüfung aufgibt, sorgt sie außerdem für sozialen Unfrieden in der Gesellschaft. Das kann nicht das Ziel von linker Politik sein.

Es gab einmal eine Andrea Nahles, die war links…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen