Um eins klar festzustellen: Ja,
die NSA hat spioniert, spioniert noch immer und wird es auch zukünftig nicht
lassen. Das ist eben ihre Aufgabe. Und natürlich kann man berechtigterweise aussagen:
„Das wussten wir doch immer, ist mir also doch egal! Fratzenbuch und Google
sind nämlich schlimmer!“ Und so ist wenig verwunderlich, dass sich nur
Journalisten über die Machenschaften von Bundesnachrichten und NSA empören. In der Bevölkerung stößt die NSA-Affäre seit jeher auf wenig Resonanz. Das hat
Jakob Augstein in seiner Kolumne „Was bleibt hängen?“ (SPIEGEL 22/2015) richtig
erkannt. Schließlich weiß die große Mehrheit der Bevölkerung erst seit Sommer
2013 von der Existenz einer Organisation namens NSA. Insofern ist es wenig
verwunderlich, dass auch keiner wirklich weiß, wofür diese drei englisch
ausgesprochenen Buchstaben stehen. Doch dafür gibt es ja Gott sei Dank Jürgen
Trittin von Bündnis‘90/Die Grünen: „Die Enn Ess Äjjj – Die – äh – Näschnll – äh
Zehkjuhrittie – äh – Ähdjenzie …“
Jedenfalls betreibt der SPIEGEL
in der NSA-Affäre, die sich mittlerweile zu einer NSA-BND-Affäre ausweitete,
eine gute Aufklärungsarbeit. Die eifrigen Journalisten decken immer wieder neue
Sachverhalte auf. So etwa auch die Selektoren der NSA. Selektoren sind
Suchbegriffe zum Durchsuchen des Internets und anderer medialer Quellen.
Gemeinsam entschieden sich deutsche Geheimdienstler vom Bundesnachrichtendienst
sowie die US-amerikanischen Partner von der NSA, wonach sie das Internet
durchsuchen wollten. Auf viele Suchbegriffe konnten sich die beiden Partner
einigen, auf viele andere nicht. Das lag daran, dass es gesetzliche und
politische Vorgaben an den Bundesnachrichtendienst gab. Diese untersagten dem
BND das Ausforschen deutscher Staatsbürger, bundesdeutscher Behörden sowie
internationaler Partner. Und weil die deutschen Nachrichtendienstler etliche
Selektoren ablehnten, wurden viele Suchbegriffe den deutschen Partnern vom
Bundesnachrichtendienst untergejubelt. Darunter viele große Ziele wie etwa
Siemens und Airbus. Manche Suchbegriffe fielen den Deutschen schnell auf,
weshalb sie ihre Vorgesetzten im Bundeskanzleramt verständigten. Na ja, daraus
lässt sich für den Leser sehr einfach und sehr gut eine Staatsaffäre konstruieren.
Etwa nach dem Motto: „Angela Merkel wusste von der Industriespionage gegen
Airbus!“ Doch derartig plump ging der SPIEGEL nicht vor. Er stellt weiterhin unbehaglich
Fragen und forscht nach. Und so hat der SPIEGEL eine hervorragende Arbeit
abgeliefert.
Trotzdem gibt es bislang einen
Knackpunkt in der Berichterstattung. Die Industriespionage seitens der
US-Amerikaner suggeriert, dass verwertbare Informationen an US-amerikanische
Unternehmen weitergereicht wurden. Es schwingt der Militärisch-Industrielle
Komplex mit. Militär beinhaltet irgendetwas Staatliches, das Attribut
„industriell“ bedeutet in einer kapitalistischen Gesellschaft etwas Privates.
Und diese beiden Parteien arbeiten dann eng verwoben zusammen. In den eher
staatskritischen USA ist es kaum vorstellbar, dass sich die Industrie vom Staat
vorschreiben ließe, wie sie ein Produkt bauen solle, bloß weil es europäische
Konkurrenten so bauten. Es gibt also keine Kausalität. Die Vermutung über die
Weitergabe von Informationen aus fremdländischen Rüstungsindustrien an US-Firmen
ist somit nicht bewiesen. Folglich ist die Skepsis gegenüber diesem Vorwurf der
Industriespionage also durchaus angebracht.
Dazu bedarf es Nachforschungen in
der Rüstungsindustrie. Diese ist eher etwas schwierig. Dort gibt es scheinbar
keine Namen, weil niemand namentlich genannt werden möchte. Und das ist absolut
verständlich, weil niemand mit Waffengeschäften und der Rüstungsindustrie in
Verbindung gebracht werden möchte. Schließlich bringen Waffen Tod und Elend.
Und das ist imageschädigend. So beschrieb der südafrikanische Journalist Andrew
Feinstein in seinem umfangreichen Buch „Waffenhandel. Das globale Geschäft mit
dem Tod“, wie sehr sich die Geschäftsmänner von Waffengeschäften distanzieren,
obwohl sie knietief darin stecken. Dabei führt Feinstein unter anderem Graf
Alfons Mensdorff-Pouilly an. Mensdorff-Pouilly ist österreichischer
Unterhändler für Waffengeschäfte und kam mehrfach in Berührung mit zahlreichen
Strafverfolgungsbehörden, doch eine Beteiligung an Waffengeschäften stritt er
immer erfolgreich ab. Angeblich sei er nur einer, der andere Leute kenne, die
jemanden Drittes kennenlernen wollen. Für derartige Personenkenntnisse steckt
Mensdorff-Pouilly durchaus beachtliche Summen an Honoraren ein. Doch es geht
auch eine Nummer kleiner. Es bedarf nicht immer eines Mensdorff-Pouillys um
Erkenntnisse über Industriespionage in der Rüstungsindustrie zu gewinnen. Doch
auch hier gibt es Informationen nur unter der Hand sowie ohne Nennung von
Namen.
Und laut Aussagen aus der
heimischen Rüstungsindustrie haben die US-Amerikaner die Baupläne der
jeweiligen Rüstungsgüter eh schon sehr früh: So „[…] kriegen die Amigos sowieso
alles. Erst kommen die Amigos, dann kommt lange nichts, dann nochmal, und dann
kommen erst mal die Briten, dann wieder lange nichts und der Rest ist
Abschaum.“ Mit „Amigos“ meint eine Kontaktperson aus der Bremer Rüstungsszene die
US-Amerikaner, die angeblich sehr große Zugriffsrechte auf deutsche und europäische Rüstungsprodukte wie etwa das deutsche Vermessungsprogramm TanDEM-X genießen.
Die Industriespionage dürfe man
sich in der Rüstungsindustrie unter anderem folgendermaßen vorstellen: Es wird
ein Produkt entworfen und hergestellt. Anschließend werden die Produkte auf
Messen vorgestellt. Erwartungsgemäß treffen sich dort dann viele Interessenten,
die das jeweilige Waffensystem abfotografieren, dazu Fragen stellen und
Informationsmaterial mitnehmen. Jedoch gibt es das Kriegswaffenkontrollgesetz,
das die Ausfuhr von deutschen Rüstungsgütern ins Ausland regelt. Demnach bedarf jede Ausfuhr ins Ausland einer Genehmigung, jedoch stehen nur Verkäufe und keine Ausstellungsmessen im Fokus
der Medien und der Regierung. „Alles unterliegt dem KWKG
[Kriegswaffenkontrollgesetz, eigene
Anmerkung].“, heißt es aus Rüstungskreisen, dort gilt das Motto:
„Es gibt nichts, was es nicht gibt, wo es Recht gibt, wird auch Recht
gebeugt.“ Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Eurofighter Typhoon gemeinsam
mit dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor von Guttenberg (CSU) auf einer indischen Rüstungsmesse im Jahr 2012 war. Schließlich handelt es sich dabei nicht um
einen Verkauf, sondern bloß um eine Messe. Doch daran erkennt man die
zwiespältige Auslegung der Rüstungsexportkontrolle: Mit dem Verkauf werden
Nutzungsrechte wie das Töten eingeräumt, während eine Messe keinen tödlichen
Charakter hat. Und während der Messe dürfen die indischen Piloten natürlich
auch das Flugzeug probefliegen, denn wer kauft schon die Katze im Sack?
Und dabei sollen dann auch ganz
gern fremdländische Mechaniker und Ingenieure unter die Motorhaube gucken.
„Real ist besser als Messung oder Demo!“, sagt dazu der Mitarbeiter von aus
Bremer Rüstungskreisen. Somit verfügen ausländische Firmen und Geheimdienste
bereits sehr früh über die technischen Feinheiten der Produkte, auch wenn
„diese […] normalerweise gesichert zum Beispiel durch Wachpersonal“ sind.
Aber es gibt auch andere Wege zur Umgehung des
Wachpersonals.
Denn wozu gibt es sogenannte
Joint Ventures zwischen internationalen Unternehmen? Der Airbus A330 Multi Role
Tanker Transport (MRTT) ist ein gutes Beispiel hierfür. Dabei handelt es sich
um das Tankflugzeug, dass von Airbus in Zusammenarbeit mit dem
US-amerikanischen Rüstungsunternehmen Northrop Grumman entwickelte wurde. Bei
der Konstruktion dieses Flugzeuges saßen also bereits US-amerikanische Partner mit im Boot. Dieser Airbus sollte die veraltete Tankerflotte der US-Luftwaffe
ersetzen. Doch so weit kam es nicht.
So wurden im Jahr 2003 angebliche Bestechungen seitens Airbus aufgedeckt. Dabei darf man sich Bestechungen nicht
derartig plump mit einem Aktenkoffer voll Geld vorstellen, sondern als
Kompensationszahlungen an ausländische Privatunternehmen begreifen. Feinstein
führt dazu in seinem Buch aus, dass solche Geschäfte bei Rüstungsgeschäften
üblich seien. Dennoch sind diese Geschäfte illegal. Also wurde das Vergabeverfahren
neuausgeschrieben. Erneute setzte sich Airbus mit einem teureren, aber leistungsfähigeren Modell durch. Doch der Konkurrent Boeing kritisierte das Vergabeverfahren als willkürlich. Schlussendlich erhielt Boeing nach erneuter
Ausschreibung den Zuschlag. Dieser Hickhack im langwierigen Vergabeverfahren
legt nah, dass kein US-Geheimdienst Erkenntnisse aus Industriespionage an
Boeing weitergeben hat. Denn sonst hätte Boeing seine technischen Defizite
durch Spionageberichte aufbessern können.
Der Gedanke, dass die NSA zu
schlamperlich arbeite, steht außer Frage. Denn die NSA spioniert ja ständig.
Doch scheinbar verwertet die NSA entweder die gewonnen Informationen nicht
richtig, oder sie verwertet diese nicht gewinnbringend für die heimische
Industrie. Schließlich besteht diese enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA
seit 2002, als ein Memorandum of Understanding unterschrieben wurde. Diese
Zusammenarbeit zwischen den beiden Geheimdiensten fiel also mitten in das
Vergabeverfahren für die neue Tankerflotte der US-Luftwaffe. Somit gibt es
keinen Beweis dafür, dass bei Industriespionage seitens US-amerikanischer
Dienste Informationen an US-Unternehmen weitergegeben wurden.
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