Sonntag, 28. Juni 2015

Mein SPIEGEL-Leserdinner mit Cordt Schnibben vom Freitag, dem 12. Juni 2015



Es war Dienstag, der 28. April 2015. Ich weiß es noch, als wäre es erst heute passiert. An diesem Tag erhielt ich die Einladung von Cordt Schnibben zum SPIEGEL-Leserdinner. Denn an diesem Dienstag habe ich erfolgreich eine Diskussionsrunde mit der Journalistin und Schriftstellerin Ruth Weiss aus Lüdinghausen organisiert und durchgeführt. Das war nämlich sehr passend. Schließlich bin ich erst durch ein SPIEGEL-Interview auf Ruth Weiss aufmerksam geworden und nahm anschließend Kontakt mit ihr auf. Und nun die Einladung zum SPIEGEL-Leserdinner. Dienstag, der 28. April 2015, war also mein Tag. Nach der Lektüre der E-Mail von Schnibben tanzte ich erst einmal durch mein Wohnzimmer. Und in den nächsten Tagen erzählte ich allen möglichen Menschen von der Einladung. Meinen Eltern, meiner Schwester, meinen Freunden, Bekannten, Nachbarn, Sportfreunden und Kollegen. Alle waren begeistert, aber auch irgendwie verwundert:

„Erzählt Henning Märchen, oder ist das sein Ernst? Aber irgendwie kennt er tatsächlich Gott und die Welt. Einerseits grüßt er jeden Pförtner, tratscht mit den Putzfrauen und scherzt mit den Verkäufern. Andererseits kennen ihn auch viele, viele andere Leute. Er ist halt Gewerkschafter und damit gut vernetzt. Also kann diese Einladung nur wahr sein.“

Entsprechend groß war das Interesse. Im Vorfeld wurde mir aufgetragen, während meines Besuchs beim SPIEGEL Bilder zu machen und anschließend einen Bericht für meinen Blog zu verfassen. Doch seit dem Leserdinner am vergangenen Freitag kam ich so schnell nicht hinterher. Denn in weniger als 24 Stunden gingen zahlreiche Nachfragen bezüglich meines Besuchs beim SPIEGEL ein.
Also hier mein Bericht:

Über meine Einladung zum SPIEGEL-Leserdinner freute ich mich schon lang. Besonders die Tatsache, dass es an einem Freitag stattfand. Dienstags und freitags ist nämlich immer Karate-Training beim Hochschulsport Münster. Und der Trainer Klaus Boers nimmt mich immer gern als Bösewicht, um anschaulich Abwehrtechniken zu verdeutlichen. Das ist zwar eine Ehre, gleichzeitig aber auch mit Schmerzen verbunden. Und so freue ich mich immer, wenn ein wichtiger Termin auf eine Trainingseinheit fällt. Sehr oft nutze ich ver.di als Ausrede. Doch so einfach war es bei der Einladung zum Leserdinner nicht. Und ich denke, dass jeder einen anderen Termin sausen lassen würde, um den SPIEGEL zu besuchen. Ob nun Muttis Geburtstag, ver.di oder aber Training – der SPIEGEL toppt alles.

Die Vorbereitungen für das Leserdinner beim SPIEGEL begannen bereits am Donnerstag, indem ich meine Reiseverpflegung zubereitete. Schließlich habe ich einen langen Tag eingeplant. Die Anreise nach Hamburg nimmt Zeit in Anspruch und die Abreise natürlich auch. Außerdem habe ich sicherheitshalber einen zeitlichen Puffer eingeplant, um ja nicht zu spät anzukommen. Denn eine Verspätung hätte ich auf ewig bereut. Und so machte ich mir Club Sandwiches, Schnitzel mit Käse-Nuss-Panade sowie Zimtschnecken. Das musste reichen, schließlich fahre ich ja zu einem Essen.
 
Am Freitag stand ich dann um 07.30 auf und beging den Tag wie immer. Eine Stunde später machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Es war ein sonniger Tag, und alles schien gut zu laufen. Die Abfahrt erfolgte pünktlich und problemlos. Doch in meiner unmittelbaren Umgebung saß eine Frauengruppe auf Vergnügungsreise. Alle hatten Hamburg als Ziel. Die Älteste aus der Runde freute sich ausdrücklich auf die Männer. Da dachte ich mir meinen Teil und ersehnte die Ankunft in Hamburg, um der Gruppe endlich zu entkommen. Gott sei Dank hielt die alte Dame nach ihrer Äußerung ihren Vormittagsschlaf ab.

In Hamburg kam ich jedenfalls heil an. Wortkarg verabschiedete ich mich von den Sitznachbarn und floh nach draußen. Dort wandelte sich auch gleich meine Stimmung. Die Sonne schien auch in Hamburg, außerdem war das Umfeld viel anonymer. Somit war also alles wieder in Ordnung. Ich war zufrieden, und zugleich muss ich wirklich toll ausgesehen haben. Und zwar so toll, dass ich einer Polizeischülerin bei ihrer Streife in der Fußgängerzone des Bahnhofsviertels auffiel. Die Polizistin musterte mich nämlich mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nach meiner Ankunft habe ich an der Alster einen Iced Latte Macchiato getrunken und bin danach ganz gemütlich zum SPIEGEL gegangen. Auf der Mönckebergstraße wollte ich noch die Leute von der Wochenzeitung Die Zeit veralbern und fragen, wo es zum SPIEGEL ginge. Doch diesen Gedanken verwarf ich ganz schnell. Jedenfalls war ich mehr als pünktlich bei meinem Termin und kam problemlos ins Gebäude. Nach mir kamen weitere Gäste. Man erkannte sie schnell. Die anderen Teilnehmer waren leicht von den SPIEGEL-Mitarbeitern zu unterscheiden. Wenn jemand verunsichert, aber neugierig guckte und außerdem männlich sowie etwas älter war, so konnte man von einem Gast ausgehen. Schließlich stellen Männer zu knapp zwei Dritteln die SPIEGEL-Leserschaft. Die Mitarbeiter sahen dagegen legerer und geschäftiger aus.

Nach meinem Betreten des SPIEGEL-Gebäudes füllte sich allmählich das Foyer. Es waren ja auch viele Gäste eingeladen. Es herrschte eine heitere Stimmung. Und aus den Gesprächen mit den anderen Gästen hörte man schnell die Begeisterung für das Leserdinner sowie die Befürchtung heraus, mit einem Sportredakteur am Tisch zu sitzen. Der SPIEGEL wird in erster Linie auch von anderen Lesern als politisches Magazin wahrgenommen, obwohl er über einen gutrecherchierten Sportteil verfügt.

Als erster Programmpunkt stand eine Diskussionsrunde mit dem Chefredakteur Klaus Brinkbäumer auf dem Plan. Anfänglich stellte er seine Arbeit und die Zukunftspläne des SPIEGELs vor. Dass eine Kooperation mit der New York Times ausgebaut werden solle, war zu erwarten. So findet sich beispielsweise der Name von Thomas Lotito von der New York Times im jeden SPIEGEL. Nur verwunderlich war, dass der Guardian nicht erwähnt wurde. Zur Zukunft und zum Themeninhalt des Magazins gab es viele, viele Fragen. Jeder wollte etwas loswerden. So auch ich. Ich wollte mehr über die Einnahmen von SPIEGEL sowie SPIEGEL-Online erfahren, bemängelte die Sinnhaftigkeit mancher SPIEGEL-Online-Nachrichten und erwähnte den Fußballverein Preußen Münster. Nach meiner Äußerung fragte mich Brinkbäumer, woher ich wisse, dass er Preußen-Münster-Fan sei. Ganz ehrlich, ja, ich habe mich auch inhaltlich auf das Leserdinner vorbereitet. Und so wusste ich auch um die Teilnahme anderer Gäste, deren Namen und Herkunft.

Die Diskussion mit Brinkbäumer und den Gästen wollte kein Ende nehmen, was eigentlich ein gutes Zeichen ist. Den Leuten war scheinbar das Essen egal. So hatte nämlich jeder Teilnehmer noch Redebedarf. Und ich auch, aber ganz besonders einige politische Wirrköpfe. Diese gab es natürlich auch unter den Gästen. Sie sprachen unaufgefordert und rühmten sich, eine allzu regelmäßige Berichterstattung zur deutschen Nazi-Vergangenheit kritisiert zu haben. Einer ging sogar darüber hinaus und war stolz, in Leserbriefen die Verfasser mit den Worten wie „Sieg Heil“ gegrüßt zu haben. Doch mehrheitlich waren alle Gäste anständig. Im Anschluss an Brinkbäumer referierte Hauke Janssen von der SPIEGEL-Dokumentation. Seinen Vortrag konnte Janssen leider nicht zu Ende bringen, weil sonst das Essen kalt geworden wäre. Also ging es schnell zum Essen.

Am Tisch saß ich mit einer Französin aus Berlin und einer österreichischen Moderatorin vom ORF aus Wien. Ja, eine bunte Mischung, das ist halt das Leben im modernen Europa. Zu Tisch wurden die Gespräche fortgeführt. Mal mit Redakteur und ‘mal ohne. Und so war das bestimmende Thema zu Tisch die männliche Dominanz beim SPIEGEL. Diese Ansicht teilte ich nicht. Durch meinen Kopf ratterten nämlich Gedanken zu meiner Schwester. Sie liest zwar nicht den SPIEGEL, trotzdem erachte ich sie in vielen Fällen als männlicher als mich. So liegt in jedem Zimmer ihrer Wohnung ein Schraubenzieher. Auf die Frage nach dessen Sinn antwortete sie: „Idiot, ist doch ganz klar, die Schraubenzieher dienen als Verlängerung. Wenn es mich ‘mal am Rücken juckt, habe ich immer einen zum Kratzen griffbereit.“ Ob nun ein Kreuzschlitz- oder ein einfacher Schlitzschraubenzieher – egal. Auch wenn meine Schwester ihr Werkzeug zweckentfremdet, so nutzt sie zumindest es weitaus häufiger als ich und ist damit vielleicht männlicher. Ganz ohne SPIEGEL. Ähnliches zeigt sich beim Grillen. Zwei-, dreimal im Jahr esse ich ganz gern Gegrilltes. Allerdings lehne ich es immer ab, zu grillen. Ich erachte Grillen im Gegensatz zum SPIEGEL als allzu männlich. Jedoch grillt meine Schwester regelmäßig und gern. Insofern konnte ich die Ansichten meiner Wiener Sitznachbarin nicht nachvollziehen, obgleich sie mir sehr sympathisch war. So konnte man bei dem anregenden Gespräch fast das Essen vernachlässigen.

Jedoch waren die Speisen dafür viel zu lecker. Als Vorspeise gab es Spargelcremesuppe mit Jakobsmuscheln, danach Lammkarree auf Spargelraspel in einer Currysauce mit Kartoffelgratin sowie Wildtomaten und abschließend Basilikummousse mit Erdbeeren. Ja, Alfred Freeman ist ein Sternekoch, das merkte man gleich. Ich hatte diesbezüglich bereits Befürchtungen. Denn in der Kantine der Universitätsklinik Münster gibt es angeblich ebenfalls einen Sternekoch. Mein guter Freund Andreas Faldum, ein wahrhaftiger Gourmet, wollte mich immer wieder dorthin einladen, doch ich sagte ihm immer: „Lass ‘mal, ich habe den Laden bereits ausprobiert und war nicht so überzeugt.“

Das Lustige an den weiteren Gesprächen mit den Redakteuren Klaus Brinkbäumer, Cordt Schnibben, Bettina Stiekel und Özlem Gezer vor, während und nach dem Essen war, dass sich alle anwesenden Gäste eine klare Benennung der Verfasser bei den SPIEGEL-Artikeln wünschten. Scheinbar lesen alle das Inhaltsverzeichnis. Das konnte ich nicht nachvollziehen, weil ich bei der Lektüre der Zeitung eine ganz simple Vorgehensweise habe: Immer von vorn nach hinten durchlesen, denn mir kommt es auf Inhalte und nicht auf Namen an. So lese ich in Büchern auch nicht das Inhaltsverzeichnis sowie das Personen- und Sachregister. Doch vermutlich tun SPIEGEL-Leser das mit Hochgenuss. Trotzdem wusste kaum einer der Gäste, wer Brinkbäumer, Stiekel und Gezer waren. Dass Gezer Cornelius Gurlitt durch eine Titelgeschichte der Öffentlichkeit bekannt machte, oder dass Brinkbäumer der Chefredakteur ist – großes Achselzucken in der Runde.

Der Abend beim SPIEGEL endete für mich gegen 22.00, weil mein Zug um 22.46 fuhr. Ein paar wenige Gäste sind dann noch mit Schnibben einen trinken gegangen. Freudig fuhr ich zurück nach Münster. Gegen 02.00 nachts war ich wieder zuhause angekommen. Mit einem Lächeln und zahlreichen Gedanken ging ich ins Bett. Erst gegen 04.00 nachts konnte ich einschlafen, so aufgekratzt und begeistert war ich.


Mein Fazit: Es war ein sehr gelungener, unterhaltsamer und schöner Abend, den ich gern wiederholen würde. Und so bin ich auf die Zukunft gespannt. Wird sich ein Leserdinner wiederholen? Gut möglich. Allerdings mache ich keinem SPIEGEL-Redakteur einen Vorwurf, wenn er seine Prämie lieber selbst verfuttert. Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass Cordt Schnibben mit seinem Leserdinner eine wunderbare Idee hatte. Einerseits sorgte er damit für intensivere Leserbindung, und andererseits brachte diese Aktion neue Abonnenten. Und in einer Welt, die immer multimedialer wird, ist ein Leserdinner Entschleunigung und ein zukunftsträchtiger Weg zur Kundenbindung zugleich.

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