Es war Dienstag, der 28. April
2015. Ich weiß es noch, als wäre es erst heute passiert. An diesem Tag erhielt
ich die Einladung von Cordt Schnibben zum SPIEGEL-Leserdinner. Denn an diesem
Dienstag habe ich erfolgreich eine Diskussionsrunde mit der Journalistin und
Schriftstellerin Ruth Weiss aus Lüdinghausen organisiert und durchgeführt. Das
war nämlich sehr passend. Schließlich bin ich erst durch ein SPIEGEL-Interview
auf Ruth Weiss aufmerksam geworden und nahm anschließend Kontakt mit ihr auf.
Und nun die Einladung zum SPIEGEL-Leserdinner. Dienstag, der 28. April 2015,
war also mein Tag. Nach der Lektüre der E-Mail von Schnibben tanzte ich erst
einmal durch mein Wohnzimmer. Und in den nächsten Tagen erzählte ich allen
möglichen Menschen von der Einladung. Meinen Eltern, meiner Schwester, meinen
Freunden, Bekannten, Nachbarn, Sportfreunden und Kollegen. Alle waren
begeistert, aber auch irgendwie verwundert:
„Erzählt Henning Märchen, oder
ist das sein Ernst? Aber irgendwie kennt er tatsächlich Gott und die Welt. Einerseits
grüßt er jeden Pförtner, tratscht mit den Putzfrauen und scherzt mit den
Verkäufern. Andererseits kennen ihn auch viele, viele andere Leute. Er ist halt
Gewerkschafter und damit gut vernetzt. Also kann diese Einladung nur wahr
sein.“
Entsprechend groß war das
Interesse. Im Vorfeld wurde mir aufgetragen, während meines Besuchs beim
SPIEGEL Bilder zu machen und anschließend einen Bericht für meinen Blog zu
verfassen. Doch seit dem Leserdinner am vergangenen Freitag kam ich so schnell
nicht hinterher. Denn in weniger als 24 Stunden gingen zahlreiche Nachfragen
bezüglich meines Besuchs beim SPIEGEL ein.
Also hier mein Bericht:
Über meine Einladung zum
SPIEGEL-Leserdinner freute ich mich schon lang. Besonders die Tatsache, dass es
an einem Freitag stattfand. Dienstags und freitags ist nämlich immer
Karate-Training beim Hochschulsport Münster. Und der Trainer Klaus Boers nimmt
mich immer gern als Bösewicht, um anschaulich Abwehrtechniken zu verdeutlichen.
Das ist zwar eine Ehre, gleichzeitig aber auch mit Schmerzen verbunden. Und so
freue ich mich immer, wenn ein wichtiger Termin auf eine Trainingseinheit
fällt. Sehr oft nutze ich ver.di als Ausrede. Doch so einfach war es bei der
Einladung zum Leserdinner nicht. Und ich denke, dass jeder einen anderen Termin
sausen lassen würde, um den SPIEGEL zu besuchen. Ob nun Muttis Geburtstag,
ver.di oder aber Training – der SPIEGEL toppt alles.
Die Vorbereitungen für das Leserdinner beim SPIEGEL begannen bereits am
Donnerstag, indem ich meine Reiseverpflegung zubereitete. Schließlich habe ich einen
langen Tag eingeplant. Die Anreise nach Hamburg nimmt Zeit in Anspruch und die
Abreise natürlich auch. Außerdem habe ich sicherheitshalber einen zeitlichen Puffer
eingeplant, um ja nicht zu spät anzukommen. Denn eine Verspätung hätte ich auf
ewig bereut. Und so machte ich mir Club Sandwiches, Schnitzel mit
Käse-Nuss-Panade sowie Zimtschnecken. Das musste reichen, schließlich fahre ich
ja zu einem Essen.
Am Freitag stand ich dann um 07.30 auf und beging den Tag wie immer. Eine
Stunde später machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Es war ein sonniger Tag,
und alles schien gut zu laufen. Die Abfahrt erfolgte pünktlich und problemlos.
Doch in meiner unmittelbaren Umgebung saß eine Frauengruppe auf
Vergnügungsreise. Alle hatten Hamburg als Ziel. Die Älteste aus der Runde
freute sich ausdrücklich auf die Männer. Da dachte ich mir meinen Teil und
ersehnte die Ankunft in Hamburg, um der Gruppe endlich zu entkommen. Gott sei
Dank hielt die alte Dame nach ihrer Äußerung ihren Vormittagsschlaf ab.
In Hamburg kam ich jedenfalls heil an. Wortkarg verabschiedete ich mich von
den Sitznachbarn und floh nach draußen. Dort wandelte sich auch gleich meine
Stimmung. Die Sonne schien auch in Hamburg, außerdem war das Umfeld viel anonymer.
Somit war also alles wieder in Ordnung. Ich war zufrieden, und zugleich muss
ich wirklich toll ausgesehen haben. Und zwar so toll, dass ich einer
Polizeischülerin bei ihrer Streife in der Fußgängerzone des Bahnhofsviertels auffiel.
Die Polizistin musterte mich nämlich mit einem Lächeln auf den Lippen.
Nach meiner Ankunft habe ich an der Alster einen Iced Latte Macchiato
getrunken und bin danach ganz gemütlich zum SPIEGEL gegangen. Auf der Mönckebergstraße
wollte ich noch die Leute von der Wochenzeitung Die Zeit veralbern und fragen,
wo es zum SPIEGEL ginge. Doch diesen Gedanken verwarf ich ganz schnell. Jedenfalls
war ich mehr als pünktlich bei meinem Termin und kam problemlos ins Gebäude.
Nach mir kamen weitere Gäste. Man erkannte sie schnell. Die anderen Teilnehmer
waren leicht von den SPIEGEL-Mitarbeitern zu unterscheiden. Wenn jemand
verunsichert, aber neugierig guckte und außerdem männlich sowie etwas älter war,
so konnte man von einem Gast ausgehen. Schließlich stellen Männer zu knapp zwei
Dritteln die SPIEGEL-Leserschaft. Die
Mitarbeiter sahen dagegen legerer und geschäftiger aus.
Nach meinem Betreten des SPIEGEL-Gebäudes füllte sich allmählich das Foyer.
Es waren ja auch viele Gäste eingeladen. Es herrschte eine heitere Stimmung. Und
aus den Gesprächen mit den anderen Gästen hörte man schnell die Begeisterung für
das Leserdinner sowie die Befürchtung heraus, mit einem Sportredakteur am Tisch
zu sitzen. Der SPIEGEL wird in erster Linie auch von anderen Lesern als
politisches Magazin wahrgenommen, obwohl er über einen gutrecherchierten Sportteil
verfügt.
Als erster Programmpunkt stand eine Diskussionsrunde mit dem Chefredakteur
Klaus Brinkbäumer auf dem Plan. Anfänglich stellte er seine Arbeit und die
Zukunftspläne des SPIEGELs vor. Dass eine Kooperation mit der New York Times
ausgebaut werden solle, war zu erwarten. So findet sich beispielsweise der Name
von Thomas Lotito von der New York Times im jeden SPIEGEL. Nur verwunderlich
war, dass der Guardian nicht erwähnt wurde. Zur Zukunft und zum Themeninhalt
des Magazins gab es viele, viele Fragen. Jeder wollte etwas loswerden. So auch
ich. Ich wollte mehr über die Einnahmen von SPIEGEL sowie SPIEGEL-Online
erfahren, bemängelte die Sinnhaftigkeit mancher SPIEGEL-Online-Nachrichten und
erwähnte den Fußballverein Preußen Münster. Nach meiner Äußerung fragte mich
Brinkbäumer, woher ich wisse, dass er Preußen-Münster-Fan sei. Ganz ehrlich,
ja, ich habe mich auch inhaltlich auf das Leserdinner vorbereitet. Und so
wusste ich auch um die Teilnahme anderer Gäste, deren Namen und Herkunft.
Die Diskussion mit Brinkbäumer und den Gästen wollte kein Ende nehmen, was
eigentlich ein gutes Zeichen ist. Den Leuten war scheinbar das Essen egal. So
hatte nämlich jeder Teilnehmer noch Redebedarf. Und ich auch, aber ganz
besonders einige politische Wirrköpfe. Diese gab es natürlich auch unter den
Gästen. Sie sprachen unaufgefordert und rühmten sich, eine allzu regelmäßige Berichterstattung
zur deutschen Nazi-Vergangenheit kritisiert zu haben. Einer ging sogar darüber
hinaus und war stolz, in Leserbriefen die Verfasser mit den Worten wie „Sieg
Heil“ gegrüßt zu haben. Doch mehrheitlich waren alle Gäste anständig. Im
Anschluss an Brinkbäumer referierte Hauke Janssen von der SPIEGEL-Dokumentation.
Seinen Vortrag konnte Janssen leider nicht zu Ende bringen, weil sonst das
Essen kalt geworden wäre. Also ging es schnell zum Essen.
Am Tisch saß ich mit einer Französin aus Berlin und einer österreichischen Moderatorin
vom ORF aus Wien. Ja, eine bunte Mischung, das ist halt das Leben im modernen
Europa. Zu Tisch wurden die Gespräche fortgeführt. Mal mit Redakteur und ‘mal
ohne. Und so war das bestimmende Thema zu Tisch die männliche Dominanz beim
SPIEGEL. Diese Ansicht teilte ich nicht. Durch meinen Kopf ratterten nämlich
Gedanken zu meiner Schwester. Sie liest zwar nicht den SPIEGEL, trotzdem erachte
ich sie in vielen Fällen als männlicher als mich. So liegt in jedem Zimmer
ihrer Wohnung ein Schraubenzieher. Auf die Frage nach dessen Sinn antwortete
sie: „Idiot, ist doch ganz klar, die Schraubenzieher dienen als Verlängerung. Wenn
es mich ‘mal am Rücken juckt, habe ich immer einen zum Kratzen griffbereit.“ Ob
nun ein Kreuzschlitz- oder ein einfacher Schlitzschraubenzieher – egal. Auch
wenn meine Schwester ihr Werkzeug zweckentfremdet, so nutzt sie zumindest es
weitaus häufiger als ich und ist damit vielleicht männlicher. Ganz ohne
SPIEGEL. Ähnliches zeigt sich beim Grillen. Zwei-, dreimal im Jahr esse ich
ganz gern Gegrilltes. Allerdings lehne ich es immer ab, zu grillen. Ich erachte
Grillen im Gegensatz zum SPIEGEL als allzu männlich. Jedoch grillt meine
Schwester regelmäßig und gern. Insofern konnte ich die Ansichten meiner Wiener
Sitznachbarin nicht nachvollziehen, obgleich sie mir sehr sympathisch war. So
konnte man bei dem anregenden Gespräch fast das Essen vernachlässigen.
Jedoch waren die Speisen dafür viel zu lecker. Als Vorspeise gab es
Spargelcremesuppe mit Jakobsmuscheln, danach Lammkarree auf Spargelraspel in
einer Currysauce mit Kartoffelgratin sowie Wildtomaten und abschließend
Basilikummousse mit Erdbeeren. Ja, Alfred Freeman ist ein Sternekoch, das
merkte man gleich. Ich hatte diesbezüglich bereits Befürchtungen. Denn in der
Kantine der Universitätsklinik Münster gibt es angeblich ebenfalls einen
Sternekoch. Mein guter Freund Andreas Faldum, ein wahrhaftiger Gourmet, wollte
mich immer wieder dorthin einladen, doch ich sagte ihm immer: „Lass ‘mal, ich
habe den Laden bereits ausprobiert und war nicht so überzeugt.“
Das Lustige an den weiteren Gesprächen mit den Redakteuren Klaus
Brinkbäumer, Cordt Schnibben, Bettina Stiekel und Özlem Gezer vor, während und
nach dem Essen war, dass sich alle anwesenden Gäste eine klare Benennung der Verfasser
bei den SPIEGEL-Artikeln wünschten. Scheinbar lesen alle das
Inhaltsverzeichnis. Das konnte ich nicht nachvollziehen, weil ich bei der
Lektüre der Zeitung eine ganz simple Vorgehensweise habe: Immer von vorn nach
hinten durchlesen, denn mir kommt es auf Inhalte und nicht auf Namen an. So
lese ich in Büchern auch nicht das Inhaltsverzeichnis sowie das Personen- und
Sachregister. Doch vermutlich tun SPIEGEL-Leser das mit Hochgenuss. Trotzdem
wusste kaum einer der Gäste, wer Brinkbäumer, Stiekel und Gezer waren. Dass Gezer
Cornelius Gurlitt durch eine Titelgeschichte der Öffentlichkeit bekannt machte,
oder dass Brinkbäumer der Chefredakteur ist – großes Achselzucken in der Runde.
Der Abend beim SPIEGEL endete für mich gegen 22.00, weil mein Zug um 22.46
fuhr. Ein paar wenige Gäste sind dann noch mit Schnibben einen trinken
gegangen. Freudig fuhr ich zurück nach Münster. Gegen 02.00 nachts war ich wieder
zuhause angekommen. Mit einem Lächeln und zahlreichen Gedanken ging ich ins
Bett. Erst gegen 04.00 nachts konnte ich einschlafen, so aufgekratzt und
begeistert war ich.
Mein Fazit: Es war ein sehr gelungener, unterhaltsamer und schöner Abend,
den ich gern wiederholen würde. Und so bin ich auf die Zukunft gespannt. Wird
sich ein Leserdinner wiederholen? Gut möglich. Allerdings mache ich keinem
SPIEGEL-Redakteur einen Vorwurf, wenn er seine Prämie lieber selbst verfuttert.
Jedoch bin ich der festen Überzeugung, dass Cordt Schnibben mit seinem
Leserdinner eine wunderbare Idee hatte. Einerseits sorgte er damit für
intensivere Leserbindung, und andererseits brachte diese Aktion neue
Abonnenten. Und in einer Welt, die immer multimedialer wird, ist ein
Leserdinner Entschleunigung und ein zukunftsträchtiger Weg zur Kundenbindung
zugleich.
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