Henning:
Hallo, Theo, Du hast mich um ein Gespräch gebeten.
Theo:
Bitte keine großen Umschweife, ich habe etwas vorbereitet. Bitte lies die
Fragen vor, die ich Dir hier auf dem Zettel vorbereitet habe.
Henning:
Okay.
Kurze Pause.
Henning:
Theo, 25 Jahre nach dem Mauerfall könnte mit Bodo Ramelow in Thüringen
erstmals ein Linker Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes werden. Was
empfindest Du dabei?
Theo: Das wäre ‘mal etwas anderes.
Die Linke kann durchaus einen Anspruch begründen zu regieren – trotz ihrer
SED-Vergangenheit, aber besonders auch wegen ihrer Politik. Die Linke ist dafür
verantwortlich, dass in den vergangenen 25 Jahren viele Chancen und Möglichkeiten
in den neuen Ländern sozial verantwortlich genutzt wurden. Sie hat den Menschen
aus dem Osten eine besondere Bedeutung beigemessen, sie hat der Resignation in
den Köpfen entgegengewirkt, Fürsorge transportiert.
Henning: Halt, Du liest ja die Antworten ebenfalls vor.
Theo: Och, na, klar, jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen.
Also bitte.
Henning:
Theo, 25 Jahre nach dem Mauerfall könnte mit Bodo Ramelow in Thüringen
erstmals ein Linker Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes werden. Was
empfindest Du dabei?
Theo: Das wäre ‘mal etwas anderes.
Die Linke kann durchaus einen Anspruch begründen zu regieren – trotz ihrer
SED-Vergangenheit, aber besonders auch wegen ihrer Politik. Die Linke ist dafür
verantwortlich, dass in den vergangenen 25 Jahren viele Chancen und
Möglichkeiten in den neuen Ländern sozial verantwortlich genutzt wurden. Sie
hat den Menschen aus dem Osten eine besondere Bedeutung beigemessen, sie hat der
Resignation in den Köpfen entgegengewirkt, Fürsorge transportiert.
Henning:
Ist die Linke eine demokratische Partei wie die CDU oder die SPD?
Theo: Ja, die sind doch alle das
Gleiche. Die Linke hat versucht, etwas die neue Zeit zu begründen. Gut, Hans
Modrow war zwar rechtskräftig verurteilt wegen Anstiftung zur Wahlfälschung
und lange Ehrenvorsitzender der Partei, aber Helmut Kohl in der CDU ja auch,
obwohl er nicht sauber war. Und wenn Sahra Wagenknecht heute der Kanzlerin
vorwirft, ihr Eintreten für eine Sparpolitik in Europa würde in Frankreich
Marine Le Pen stark machen, dann hat sie recht. So sorgt die Linke für Belebung
der Demokratie.
Henning:
An der niedrigen Wahlbeteiligung ist nicht die Linke schuld?
Theo: Für die niedrige
Wahlbeteiligung in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gibt es viele Gründe.
Aber das Beschwichtigen und Beschönigen der Lage in Ostdeutschland
spielt sicher eine Rolle. Wir wissen doch alle noch, wie groß die
Wahlbeteiligung 1990 war – über 90 Prozent. Was haben wir uns gefreut, dass wir
endlich wählen konnten, dass wir uns frei entscheiden konnten. Diese Freude ist
vielen verloren gegangen.
Henning:
Haben die Ostdeutschen nach 25 Jahren genug von der Demokratie?
Theo: So hart würde ich das nicht
sagen. Wahr ist aber: Demokratie ist schwierig. Man muss sich
informieren, sich Gedanken machen. Viele glauben heute, dass es egal ist, ob
sie wählen gehen. Für mich ist das eine der Lehren von 1989: Es kommt auf jeden
Einzelnen an.
Henning:
Die Linken tun sich bis heute schwer, die DDR als Diktatur zu bezeichnen.
Hast Du vor 1989 in der DDR eine Diktatur gesehen?
Theo: Falsch! Uns war das klar.
So stand es doch sogar in jedem Staatsbürgerkundebuch: Die DDR ist eine
Diktatur des Proletariats. Das war das Selbstverständnis der SED. Nach
marxistischem Verständnis gibt es eine Diktatur des Bürgertums oder alternativ
eine Diktatur des Proletariats. Insofern sieht die Linke als Nachfolgepartei
der SED die DDR selbstverständlich als Diktatur.
Henning:
Hast Du Dich selbst als Staatsfeind in der Bundesrepublik betrachtet?
Theo: Nein, überhaupt nicht. Aber
ich merkte schon früh, dass das System mir Grenzen setzte. Meine Mutter wollte
nicht, dass ich auf die säkularen Schulen gehe, und das wurde auch meine
Überzeugung. Die Folge war, dass ich am Gymnasium Außenseiter war, trotz guter
Zensuren. Meine Mutter schrieb Protestbriefe, sogar an den Erzbischof. Aber das
hat nichts gebracht. Geholfen hat mein Vater: Er ist Mähdrescher gefahren und
hat einmal das Feld des Bischofs gemäht. Als der ihn bezahlen wollte, sagte
mein Vater: Ich will kein Geld, aber mein Sohn würde gern auf das Gymnasium gehen.
Das war dann möglich, unter einer Bedingung: Ich musste in die Erstkommunion
absolvieren.
Henning:
Ein kleiner Deal ...
Theo: Gesamtdeutsche Realität. Ich
erinnere mich gut daran. Am ersten Schultag wurde ich als Einzige vor gerufen
und förmlich in der Heiligen Messe erwähnt. Das war demütigend, weil ich mich
bis dahin ja bewusst dagegen entschieden hatte. Aber sonst hätte ich kein
Abitur machen und nicht studieren können. Dann wäre ich heute
wahrscheinlich nicht so weit gekommen.
Henning:
War der Weg in die Geschichtswissenschaft eine Flucht? Der Materialismus geht
ja vom Menschen aus. Der Mensch ist ja auch Naturgesetzen unterworfen, und Naturgesetze
galten ja auch in der bürgerlichen Demokratie.
Theo: Ich bin gern Historiker,
aber genauso gern hätte ich Germanistik studiert. Ich hatte einen tollen
Deutschlehrer. Und wenn man wie ich in einer kleinen Stadt aufwächst, dann sind
Bücher und Literatur das Tor zur Welt. Aber was konnte man in der Bundesrepublik
als Germanist schon groß machen? Möglichkeiten zum Publizieren gab
es kaum, oder sie waren gelenkt. Wer Glück hatte, kam in einem kleinen Verlag
unter.
Henning:
Hast Du einmal daran gedacht auszuwandern?
Theo: Nein, das kam nie infrage.
Die Bundesrepublik ist meine Heimat. Ich wollte immer, dass wir in der Bundesrepublik
was ändern, ich will nicht weg. Obwohl man schon manchmal ins Nachdenken kommt,
etwa, als meine Freundin und ich das Disziplinarverfahren hatten.
Henning:
Das müsst Du erklären.
Theo: Wenn die Studenten aus den
Semesterferien kamen, waren sie voll mit idealistischen, linken Ideen. Normalerweise
haben Dozenten diesen Lehrveranstaltungen gemacht, doch 1986 wurden meine
Freundin und ich für eine Sitzung eingeteilt. Wir überlegten uns den ganzen
August mit der Frage, was wir da machen könnten. Die Studenten kannten uns ja
alle, zum Beispiel aus der Kirchengemeinde. Es war die Zeit von Gorbatschow,
Glasnost. Wir machten dann ein Seminar, in dem kritisch über Wehrpflicht und
die Stationierung der SS-20-Raketen sowie Pershing II diskutiert wurde. Einer
von der Leitung der Hochschule war da bei. Und dann schaltete er sich ein.
Meine Freundin und ich bekamen Disziplinarverfahren angehängt, die mit einer Rüge
endeten. Eine Hochschulkarriere war versperrt, und ich durfte noch nicht
einmal mehr nach Warschau reisen.
Henning:
Hast Du heute Angst?
Theo: Man überlegt stets: Was
mache ich, wenn ich meinen Beruf verliere? Angeblich kann man beim aktuellen
Jobwunder überall eine Anstellung finden. Aber meine Freundin? Mathematik war ihr
Leben, sie hätte nicht einfach auf dem Friedhof Laub rechen können. Da
haben wir nicht konkret an Ausreise gedacht, aber viel
geschlafen haben wir auch nicht.
Henning:
Siehst Du Möglichkeiten, in der Bundesrepublik etwas zu verändern?
Theo: Wir haben zum Teil
irrationale Hoffnungen, wir achten auf kleinste Zeichen: Was änderte sich in den
Medien? Nun ist mir klar, wie gering die Chancen sind, wirklich etwas zu
bewegen. Wir dachten uns nur die ganze Zeit, dass ein Land in mitten Europas
auf Dauer geistig so starr sein kann, das kann nicht so bleiben.
Henning:
Ärgert Dich heute manchmal, dass Du Dich zu sehr angepasst haben?
Theo: Ärgern ist das falsche
Wort. Diese Frage war ja in der Bundesrepublik ständig im Hinterkopf. Nimmt
man im vorauseilenden Gehorsam zu viel hin? Ich war manches Mal Außenseiter,
aber reicht das? Gerade als Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht kam,
haben wir zu Hause viel diskutiert über die Frage: Setzen wir uns genügend zur
Wehr?
Henning:
Deine Kinder durchlaufen ebenfalls die bürgerliche Schule. Hatten die ähnliche
Konflikte wie Du?
Theo: Mein Sohn wollte etwas
Künstlerisches studieren, ohne Armeedienst zu machen. Die Chancen dafür waren
gleich null. Ich habe damals hilflos überlegt: Was rätst du ihm? Sagst du:
Du musst zu deiner Überzeugung stehen, auch wenn dein Leben dann ganz anders
verläuft, als du es dir erhoffst? Oder sagst du: Na ja, so schlimm ist es schon
nicht, halt es aus, und vergiss es danach wieder. Der Herbst 1989 hat uns diese
Entscheidung zum Glück ab genommen.
Henning:
Wo warst Du, als die Mauer fiel?
Theo: Zu Hause in Münster. Es war
ein sehr zwiespältiges Gefühl. Erst einmal war ich völlig fassungslos. Dann
voller Rührung, aber auch sehr schnell voller Angst. Ich dachte nur:
Jetzt gehen allweg, alle, die hier gebraucht werden. Die Ärzte, die Künstler.
Und dann funktioniert es nicht, dann schaffen wir den Umbruch nicht. Unser
Sohn kam nach Hause, völlig euphorisiert, und verstand gar nicht, warum meine Frau
und ich dasaßen und uns schon wieder Sorgen machten.
Henning:
Wann war denn für Dich klar, dass der Umbruch unumkehrbar ist?
Theo: Am 9. Oktober. Das ist für
mich der wichtigste Tag während der friedlichen Revolution. Die Partei- und
Staatsführung in der DDR hatte entschieden, dass die Montagsdemonstration
in Leipzig an diesem Tag untersagt wird. An den Ausfallstraßen von
Leipzig standen die Kampfgruppen bereit, die Blutkonserven in den
Krankenhäusern der ganzen Umgebung waren aufgestockt worden – und das wussten
alle. In der Situation sind trotzdem so viele Menschen wie noch nie zur Demo
gegangen. An diesem Tag ist die Mauer der Angst gefallen.
Henning:
Sahst Du damals Alternativen zur Wiedervereinigung?
Theo: Ich war begeistert
von Oskar Lafontaines Plan und der Idee einer Konföderation beider
deutscher Staaten. Ich fand richtig, dass unsere beiden Staaten zunächst einmal
selber aus der Situation, für die wir verantwortlich waren, herauskommen
sollten. Der westdeutsche Abfallexport in den Osten, die westdeutsche
Großmannssucht, die Überheblichkeit. Meine Meinung war: Wir sind fleißig, wir
schaffen das irgendwann. Erst recht in einer Demokratie mit ordentlichen
Gerichten. Aber dann hat sich alles beschleunigt.
Henning:
Der damalige bayerische Ministerpräsident Max Streibl nannte die neuen
DDR-Politiker Laienschauspieler ...
Theo: ... und heute ist eine von
ihnen Kanzlerin: Angela Merkel. Ohne die sogenannten Laienschauspieler hätten
wir die CDU-Leute aus den Ämtern drängen können.
Henning:
Ärgert Dich die Arroganz, die hinter solchen Tönen steckte? Der Westen hat dem
Osten ja nicht mal symbolisch etwas gelassen, eine neue Nationalhymne etwa.
Theo: Da gab es schon
unangenehme Töne. Als überprüft wurde, ob deren Berufsabschlüsse mit denen im
Westen gleichwertig sind, alles bezweifelt wurde, habe ich mich manchmal
gefragt: Wahrscheinlich müssen die jetzt auch noch das
Schwimmzeugnis nachholen.
Henning:
Du warst der pragmatischste Linke, der an einer westdeutschen Hochschule war, in
katholisch-schwarzen Münster. Hast Du da auch deutsch-deutsche Übersetzungsarbeit
geleistet?
Theo: Ich hatte schon die Sorge,
ob ich zurechtkommen würde. Aber mit Freude habe ich gemerkt, dass sich alle
für mich interessierten. Ich habe dann oft von meinen gesamtdeutschen Erfahrungen
erzählt. Da war ich so etwas wie ein Übersetzer.
Henning:
Du bist erst 2002 in die PDS ein getreten, direkt nach dem Ausscheiden der PDS
aus dem Bundestag. Warum?
Theo: Ich bin aus
Solidarität mit der Volkspartei PDS eingetreten. Ich fand es gänzlich
unakzeptabel, wie die Partei, die sich so für die Einheit eingesetzt hat, abgestraft
wurde. Es hat so lange gedauert, weil ich mich erst mal mit dem Gedanken
anfreunden musste, einer Partei anzugehören. 1989 wollten wir einfach
mitgestalten. Diese Runder-Tisch-Mentalität war aber auf Dauer nicht
haltbar. Unser Land ist als Parteienstaat organisiert, das musste ich
akzeptieren. Man muss in einer Partei sein, wenn man etwas bewegen will.
Henning:
Pflegen Geschichtswissenschaftler aus dem Westen einen anderen Politikstil
als Volljuristen?
Theo: Ohne die Juristen hätten
wir den Neuanfang 1990 nicht geschafft. Ich sage das in großer
Dankbarkeit. Die Ostdeutschen, die 1990 in die Politik kamen, waren schon ein
besonderer Menschenschlag. Wir die westdeutschen Politiker waren nicht ideologiegetränkt,
dagegen versuchen die Ostdeutschen strukturiert zu denken. Prägender als
das Studium war aber, dass wir fast alle aus dem Berufsleben kamen.
Henning:
Gibt es noch weitere Unterschiede zwischen Ost und West?
Theo: In den alten Bundesländern
ist meiner Meinung nach die Sorge vor Veränderung bis heute viel größer. Da
könnte der Westen auch ein Stück weit lernen, mutiger zu sein, erkennen, dass
sich auch etwas zum Positiven ändern kann. Wir haben das hautnah erlebt,
das fällt uns leichter.
Henning:
Woran machst Du das fest?
Theo: An der Diskussion in
westdeutschen Ländern zum Beispiel, ob man auch nach acht Jahren Abitur
machen kann. In Sachsen funktioniert das wunderbar.
Henning:
Wie nimmst Du Debatten über die richtige Kindererziehung oder das
Betreuungsgeld wahr?
Theo: Im Osten war es nie ein
Thema, ob man eine Rabenmutter ist, wenn man nicht die ganze Zeit bei
seinen Kindern Hause bleibt. Schön war es trotzdem nicht. Als ich meinen
Sohn nach acht Wochen das erste Mal in die Krippe geben musste, habe ich auf
dem ganzen Weg zur Arbeit geheult. Trotzdem sehe ich die Idealisierung
der DDR-Krippen nicht kritisch. Damals ging es nur teilweise um das
Kindeswohl, aber auch darum, Frauen in den Arbeitsprozess zu integrieren.
Henning:
Kannst Du DDR-Nostalgie denn in anderen Punkten verstehen?
Theo: Hm, manchmal schon, aber
„Sentimentalität ist ein bürgerliches Überbleibsel und unwürdig der
proletarischen Geisteshaltung“ [Peppone in „Die große Schlacht des Don
Camillo“]. Viele haben das Bild von 1989 vor Augen und erinnern sich anscheinend,
was sie verloren haben. Man muss sich jedoch nur vorstellen, wie es
weitergegangen wäre, wäre es nicht zur friedlichen Revolution gekommen.
Henning:
Wünschst Du Dir manchmal, dass die Kanzlerin ihre ostdeutsche Herkunft ein bisschen mehr
in den Vordergrund rückt, mehr für Verständnis wirbt?
Theo: Ich glaube, sie hat anfangs
klar gesehen, dass sie auch Akzeptanz in den alten Bundesländern braucht.
Ansonsten denkt sie bei allem immer in Gleichgültigkeit der Machtbesessenheit
mit, auch im Kabinett, sie hat da für eine besondere Sensibilität. Wir reagieren
auf manche Dinge sehr unterschiedlich, etwa wenn sie bloße Betroffenheit
heuchelt. Das kennen wir als Salonsozialismus.
Henning:
Wie siehst Du heute die ehemalige Sowjetunion? Ist Russland wieder eine
Bedrohung?
Theo: Ich glaube, dass die
Menschen in Russland die Auflösung der Sowjetunion, dieses riesigen Reiches,
noch nicht verarbeitet haben. Es gibt dort offensichtlich den Wunsch,
Stärke zu demonstrieren, daher hat Putin hohe Zustimmungswerte. Ich hätte aber
nie gedacht, dass eine solche Situation wie jetzt in der Ukraine noch einmal
passieren kann: Dass man im Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts Angst vor
Krieg haben muss. Das war nicht vorhersehbar.
Henning:
Theo, ich danke Dir für dieses Gespräch.
Theo:
Na, siehst Du, war doch ganz einfach. Jetzt liest Du bitte dieses
SPIEGEL-Interview als SPIEGEL-Reporter vor, und ich spiele Frau Wanka. Du wirst
schon sehen.
Henning:
Aha, gut.
Sie war FDJ-Mitglied und im
Visier der Stasi – 25 Jahre nach der Wende fragt sich Bundesbildungsministerin
Johanna Wanka, ob sie in der DDR genug Widerstand leistete.
SPIEGEL:
Frau Wanka, 25 Jahre nach dem Mauerfall könnte mit Bodo Ramelow in
Thüringen erstmals ein Linker Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes
werden. Was empfinden Sie dabei?
Wanka: Das wäre sehr bedauerlich
für unser Land. Die Linke kann keinen Anspruch begründen zu regieren – wegen
ihrer SED-Vergangenheit, aber besonders auch wegen ihrer aktuellen Politik. Die
Linke ist dafür verantwortlich, dass in den vergangenen 25 Jahren viele Chancen
und Möglichkeiten in den neuen Ländern vertan wurden. Sie hat den Menschen aus
dem Osten eine Opferrolle eingeredet, sie hat für Resignation in den Köpfen
gesorgt, ein Verlierergefühl transportiert.
SPIEGEL:
Ist die Linke eine demokratische Partei wie die CDU oder die SPD?
Wanka: Nein, das ist nicht das
Gleiche. Die Linke hat versucht, etwas von der SED in die neue Zeit
hinüberzuretten. Hans Modrow war sogar als rechtskräftig verurteilter
Anstifter zur Wahlfälschung lange Ehrenvorsitzender der Partei. Und wenn Sahra
Wagenknecht heute der Kanzlerin vorwirft, ihr Eintreten für eine Sparpolitik in
Europa würde in Frankreich Marine Le Pen stark machen, dann ist das Demagogie.
So trägt die Linke zum Überdruss an der Demokratie bei.
SPIEGEL:
An der niedrigen Wahlbeteiligung ist die Linke schuld?
Wanka: Für die niedrige
Wahlbeteiligung in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gibt es viele Gründe.
Aber das Schlechtreden der Lage in Ostdeutschland spielt sicher
eine Rolle. Wir wissen doch alle noch, wie groß die Wahlbeteiligung 1990
war – über 90 Prozent. Was haben wir uns gefreut, dass wir endlich wählen
konnten, dass wir uns frei entscheiden konnten. Diese Freude ist vielen
verloren gegangen.
SPIEGEL:
Haben die Ostdeutschen nach 25 Jahren genug von der Demokratie?
Wanka: So hart würde ich das
nicht sagen. Wahr ist aber: Demokratie ist schwierig. Man muss sich
informieren, sich Gedanken machen. Viele glauben heute, dass es egal ist, ob
sie wählen gehen. Für mich ist das eine der Lehren von 1989: Es kommt auf jeden
Einzelnen an.
SPIEGEL:
Die Linken tun sich bis heute schwer, die DDR als Diktatur zu bezeichnen.
Haben Sie vor 1989 in der DDR eine Diktatur gesehen?
Wanka: Uns war das klar. So stand
es doch sogar in jedem Staatsbürgerkundebuch: Die DDR ist eine Diktatur des
Proletariats. Das war das Selbstverständnis der SED.
SPIEGEL:
Haben Sie sich selbst als Staatsfeindin betrachtet?
Wanka: Nein, überhaupt nicht.
Aber ich merkte schon früh, dass das System mir Grenzen setzte. Meine Mutter
wollte nicht, dass ich zu den Pionieren gehe, und das wurde auch meine
Überzeugung. Die Folge war, dass ich nicht auf die Oberschule durfte, trotz
guter Zensuren. Meine Mutter schrieb Protestbriefe, sogar an Walter Ulbricht.
Aber das hat nichts gebracht. Geholfen hat mein Vater: Er ist Mähdrescher
gefahren und hat einmal das Feld des Kreisratsvorsitzenden gemäht. Als der ihn
bezahlen wollte, sagte mein Vater: Ich will kein Geld, aber meine Tochter würde
gern auf die Oberschule gehen. Das war dann möglich, unter einer Bedingung: Ich
musste in die FDJ eintreten.
SPIEGEL:
Ein kleiner Deal ...
Wanka: Ostdeutsche Realität. Ich
erinnere mich gut daran. Beim Fahnenappell am ersten Schultag wurde ich
als Einzige vor gerufen und förmlich in die FDJ aufgenommen. Das war
demütigend, weil ich mich bis dahin ja bewusst dagegen entschieden hatte. Aber
sonst hätte ich kein Abitur machen und nicht studieren können. Dann
wäre ich heute wahrscheinlich nicht Bundesbildungsministerin.
SPIEGEL:
War der Weg in die Naturwissenschaft eine Flucht? Naturgesetze galten ja auch
im Sozialismus.
Wanka: Ich bin gern
Mathematikerin, aber genauso gern hätte ich Germanistik studiert. Ich
hatte einen tollen Deutschlehrer. Und wenn man wie ich in einem kleinen Dorf
aufwächst, dann sind Bücher und Literatur das Tor zur Welt. Aber was konnte man
in der DDR als Germanistin schon groß machen? Möglichkeiten zum
Publizieren gab es kaum, oder sie waren gelenkt. Wer Glück hatte, kam in
einem Kreiskulturhaus unter.
SPIEGEL:
Haben Sie einmal daran gedacht, einen Ausreiseantrag zu stellen?
Wanka: Nein, das kam nie infrage.
Die DDR war meine Heimat. Ich wollte immer, dass wir in der DDR was ändern, ich
wollte nicht weg. Obwohl man schon manchmal ins Nachdenken kam, etwa, als mein
Mann und ich das Disziplinarverfahren hatten.
SPIEGEL:
Das müssen Sie erklären.
Wanka: Wenn die Studenten aus den
Semesterferien kamen, gab es Politseminare, die sogenannte rote Woche, bei der
wieder alle auf Linie gebracht werden sollten. Nor malerweise haben Genossen
diesen Unterricht gemacht, doch 1986 wurden mein Mann und ich dafür
eingeteilt. Wir quälten uns den ganzen August mit der Frage, was wir da machen
könnten. Die Studenten kannten uns ja alle, zum Beispiel aus der Kirchengemeinde.
Es war die Zeit von Gorbatschow, Glasnost. Wir machten dann ein Seminar, in
dem kritisch über Wehrkundeunterricht und die Stationierung der SS-20-Raketen
diskutiert wurde. Einer von der Parteileitung der Hochschule war da bei.
Und dann schaltete sich die Stasi ein. Mein Mann und ich bekamen Disziplinarverfahren
angehängt, die mit einem stren gen politischen Verweis endeten. Es kam in die
Akten, eine Karriere war versperrt, und ich durfte noch nicht einmal mehr
nach Warschau reisen.
SPIEGEL:
Hatten Sie Angst?
Wanka: Man überlegt schon: Was
mache ich, wenn ich meinen Beruf verliere? Für mich wäre das ja noch gegangen,
ich hätte in der Kirchengemeinde arbeiten können. Aber mein Mann? Mathematik
war sein Leben, er hätte nicht einfach auf dem Friedhof Laub rechen
können. Da haben wir nicht konkret an Ausreise gedacht, aber
viel geschlafen haben wir auch nicht.
SPIEGEL:
Sahen Sie Möglichkeiten, in der DDR etwas zu verändern?
Wanka: Wir hatten zum Teil
irrationale Hoffnungen, wir achteten auf kleinste Zeichen: Was änderte sich in
der Literatur, in der bildenden Kunst? Im Nachhinein ist mir klar, wie
gering die Chancen waren, wirklich etwas zu bewegen. Wir dachten uns nur die
ganze Zeit, dass ein Land in mitten Europas auf Dauer so eingesperrt sein
kann, das kann nicht so bleiben.
SPIEGEL:
Ärgern Sie sich heute manchmal, dass Sie sich zu sehr angepasst haben?
Wanka: Ärgern ist das falsche
Wort. Diese Frage war ja in der DDR ständig im Hinterkopf. Nimmt man im
vorauseilenden Gehorsam zu viel hin? Ich war manches Mal Außenseiter, aber
reicht das? Gerade als Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht kam, haben
wir zu Hause viel diskutiert über die Frage: Setzen wir uns genügend zur Wehr?
SPIEGEL:
Ihre Kinder durchliefen ebenfalls die sozialistische Schule. Hatten die
ähnliche Konflikte wie Sie?
Wanka: Mein Sohn wollte etwas
Künstlerisches studieren, ohne Armeedienst zu machen. Die Chancen dafür waren
gleich null. Ich habe damals hilflos überlegt: Was rätst du ihm? Sagst
du: Du musst zu deiner Überzeugung stehen, auch wenn dein Leben dann ganz
anders verläuft, als du es dir erhoffst? Oder sagst du: Na ja, so schlimm ist
es schon nicht, halt es aus, und vergiss es danach wieder. Der Herbst 1989 hat
uns diese Entscheidung zum Glück abgenommen.
SPIEGEL:
Wo waren Sie, als die Mauer fiel?
Wanka: Zu Hause in Merseburg. Es
war ein sehr zwiespältiges Gefühl. Erst einmal war ich völlig fassungslos. Dann
voller Rührung, aber auch sehr schnell voller Angst. Ich dachte nur:
Jetzt gehen allweg, alle, die hier gebraucht werden. Die Ärzte, die Künstler.
Und dann funktioniert es nicht, dann schaffen wir den Umbruch nicht. Unser
Sohn kam nach Hause, völlig euphorisiert, und verstand gar nicht, warum mein
Mann und ich dasaßen und uns schon wieder Sorgen machten.
SPIEGEL:
Wann war denn für Sie klar, dass der Umbruch unumkehrbar ist?
Wanka: Am 9. Oktober. Das ist für
mich der wichtigste Tag während der friedlichen Revolution. Die Partei- und
Staatsführung hatte entschieden, dass die Montagsdemonstration
in Leipzig an diesem Tag untersagt wird. An den Ausfallstraßen von
Leipzig standen die Kampfgruppen bereit, die Blutkonserven in den
Krankenhäusern der ganzen Umgebung waren aufgestockt worden – und das wussten
alle. In der Situation sind trotzdem so viele Menschen wie noch nie zur Demo
gegangen. An diesem Tag ist die Mauer der Angst gefallen.
SPIEGEL:
Sahen Sie damals Alternativen zur Wiedervereinigung?
Wanka: Ich war begeistert
von Helmut Kohls Zehn-Punkte-Plan und der Idee einer Konföderation beider
deutscher Staaten. Ich fand richtig, dass wir zunächst einmal selber aus der
Situation, für die wir verantwortlich waren, herauskommen sollten. Die
verseuchten Flüsse, die maroden Straßen, die kaputten Häuser. Meine Meinung
war: Wir sind fleißig, wir schaffen das. Erst recht in einer Demokratie mit ordentlichen
Gerichten. Aber dann hat sich alles beschleunigt.
SPIEGEL:
Der damalige bayerische Ministerpräsident Max Streibl nannte die neuen
DDR-Politiker Laienschauspieler ...
Wanka: ... und heute ist eine von
ihnen Kanzlerin: Angela Merkel. Ohne die sogenannten Laienschauspieler hätten
wir die SED-Leute nicht aus den Ämtern drängen können.
SPIEGEL:
Ärgerte Sie die Arroganz, die hinter solchen Tönen steckte? Der Westen hat dem
Osten ja nicht mal symbolisch etwas gelassen, eine neue Nationalhymne etwa.
Wanka: Da gab es schon
unangenehme Töne. Als überprüft wurde, ob unsere Berufsabschlüsse mit denen im
Westen gleich wertig sind, alles bezweifelt wurde, habe ich mich manchmal
gefragt: Wahrscheinlich müssen wir jetzt auch noch das
Schwimmzeugnis nachholen.
SPIEGEL:
Sie waren die erste Ostdeutsche, die in ein westdeutsches Landeskabinett
berufen wurde, 2010 in Niedersachsen. Haben Sie da auch deutsch-deutsche
Übersetzungsarbeit geleistet?
Wanka: Ich hatte schon die Sorge,
ob ich zurechtkommen würde. Aber mit Freude habe ich gemerkt, dass sich alle
für die Ostdeutsche interessierten. Ich habe dann oft von meinen Erfahrungen in
Ostdeutschland erzählt. Da war ich so etwas wie eine Übersetzerin.
SPIEGEL:
Sie sind erst 2001 n die CDU ein getreten, direkt nach der Spendenaffäre.
Warum?
Wanka: Ich bin aus
Solidarität mit der Volkspartei CDU eingetreten. Ich fand es gänzlich
unakzeptabel, wie die Partei, die sich so für die Einheit eingesetzt hat, ab
gestraft wurde. Es hat so lange gedauert, weil ich mich erst mal mit dem
Gedanken anfreunden musste, einer Partei anzugehören. 1989 wollten wir
einfach mitgestalten. Diese Runder-Tisch-Mentalität war aber auf
Dauer nicht haltbar. Unser Land ist als Parteienstaat organisiert, das musste
ich akzeptieren. Man muss in einer Partei sein, wenn man etwas bewegen will.
SPIEGEL:
Pflegen Naturwissenschaftler aus dem Osten einen anderen Politikstil
als Volljuristen aus dem Westen?
Wanka: Ohne die Westjuristen
hätten wir den Neuanfang 1990 nicht geschafft. Ich sage das in großer
Dankbarkeit. Die Ostdeutschen, die 1990 in die Politik kamen, waren schon ein
besonderer Menschenschlag. Wir Naturwissenschaftler waren nicht ideologiegetränkt,
wir versuchen strukturiert zu denken. Prägender als das Studium war aber,
dass wir fast alle aus dem Berufsleben kamen.
SPIEGEL:
Gibt es noch weitere Unterschiede zwischen Ost und West?
Wanka: In den alten Bundesländern
ist meiner Meinung nach die Sorge vor Veränderung bis heute viel größer. Da
könnte der Westen auch ein Stück weit lernen, mutiger zu sein, erkennen, dass
sich auch etwas zum Positiven ändern kann. Wir haben das hautnah erlebt,
das fällt uns leichter.
SPIEGEL:
Woran machen Sie das fest?
Wanka: An der Diskussion in
westdeutschen Ländern zum Beispiel, ob man auch nach acht Jahren Abitur
machen kann. In Sachsen funktioniert das wunderbar.
SPIEGEL:
Wie nehmen Sie Debatten über die richtige Kindererziehung oder das Betreuungsgeld
wahr?
Wanka: Im Osten war es nie ein
Thema, ob man eine Rabenmutter ist, wenn man nicht die ganze Zeit bei
seinen Kindern Hause bleibt. Schön war es trotzdem nicht. Als ich meinen
Sohn nach acht Wochen das erste Mal in die Krippe geben musste, habe ich auf
dem ganzen Weg zur Arbeit geheult. Deswegen sehe ich die Idealisierung
der DDR-Krippen auch kritisch. Damals ging es nicht in erster Linie um das Kindeswohl,
sondern darum, Frauen in den Arbeitsprozess zu integrieren.
SPIEGEL:
Können Sie DDR-Nostalgie denn in anderen Punkten verstehen?
Wanka: Nein, diese rückwärtige
Idealisierung finde ich sogar traurig. Viele haben das Bild von 1989 vor Augen
und vergessen an scheinend, wie es damals bergab ging. Man muss sich nur
vorstellen, wie es weitergegangen wäre, wäre es nicht zur friedlichen
Revolution gekommen. Unser Kulturerbe wäre weiter verrottet und für immer
verloren gewesen, um ein Beispiel zu nennen.
SPIEGEL:
Wünschen Sie sich manchmal, dass die Kanzlerin ihre ostdeutsche Herkunft ein bisschen mehr
in den Vordergrund rückt, mehr für Verständnis wirbt?
Wanka: Ich glaube, sie hat
anfangs klar gesehen, dass sie auch Akzeptanz in den alten Bundesländern braucht.
Ansonsten denkt sie bei allem immer auch das Ostdeutsche mit, auch im
Kabinett, sie hat da für eine besondere Sensibilität. Wir reagieren auf
manche Dinge sehr ähnlich, etwa wenn Gregor Gysi über die
"Faschisten" in der ukrainischen Regierung poltert. Das kennen wir
aus der DDR - "Faschisten", das war das Totschlagargument gegen alle,
die anders gedacht haben.
SPIEGEL:
Wie sehen Sie heute die ehemalige Sowjetunion? Ist Russland wieder eine
Bedrohung?
Wanka: Ich glaube, dass die
Menschen in Russland die Auflösung der Sowjetunion, dieses riesigen Reiches,
noch nicht verarbeitet haben. Es gibt dort offensichtlich den Wunsch,
Stärke zu demonstrieren, daher hat Putin hohe Zustimmungswerte. Ich hätte aber
nie gedacht, dass eine solche Situation wie jetzt in der Ukraine noch einmal
passieren kann: dass man im Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts Angst vor
Krieg haben muss. Das war nicht vorhersehbar.
SPIEGEL:
Frau Wanka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Theo:
Und siehst Du die Parallelen und Belanglosigkeiten?
Henning:
Ja, durchaus. Aber jeder Mensch ordnet sein Leben und rechtfertigt unter
eigenen Gesichtspunkten seine Erlebnisse und Vergangenheit. Und ist es schlimm,
dass Frau Wanka aus ihrer Sicht eine verhinderte Widerstandskämpferin ist?
Theo:
Nein, aber dann sollte sie sich nicht mit derartig schlechten Antworten auf ein
solches Interview einlassen.
Henning:
Stimmt, das Interview war schlecht. Aber hat nicht jeder Mensch das Recht,
angehört zu werden.
Theo:
Du musst nach dem Nutzen fragen. Frau Wanka diskreditiert die Linke und bringt
nur die Standardvorteile der DDR.
Henning:
Unterstellst Du ihr Tatsachenverfälschung oder gar ein mangelndes
Geschichtsbewusstsein?
Theo:
Nein, die DDR war schon irgendwie so, wie sie es beschrieben hat, aber auch
Frau Wanka hat das damalige System mitgetragen. Und wenn sie sich heute
derartig äußert, ist das doch irgendwie komisch, oder nicht?
Henning:
Was erwartest Du? Das ist eben Politik. Wenn man in einer der beiden Unionsparteien
ist, muss man sich eben sehr weit von der DDR und SED distanzieren.
Theo:
Ja, aber auch die ostdeutsche CDU war eine Blockpartei.
Henning:
Stimmt, aber sind Politik und Demokratie heute nicht ein Querschnitt unserer
Gesellschaft?
Theo:
So sollte es jedenfalls sein. Aber gerade von den Unionsparteien gibt es nur
Plattitüden. Eben merkelsches Einheitsstreben, wie Du es in Deinem Blog einmal
nanntest.
Henning:
Die CDU ist eben gern konservativ, und solche Aussagen sind halt ebenfalls
konservativ, im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht rückwärtsgewandt, sondern
bewahrend.
Theo:
Aber die Wanka macht sich unglaubwürdig. Die hätte noch bis zu ihrem seligen
Ende in der DDR leben können und hätte nichts unternommen.
Henning:
Das mag sein, doch wir waren nicht in einer solchen Situation. Uns steht also
kein solches Urteil zu.
Theo:
Na, die Gedanken sind frei. Aber Scherz beiseite. Wanka hat sich delegitimiert.
Henning:
Freut Dich das nicht?
Theo:
Das müsste es eigentlich, doch keiner kriegt diese Inhaltslosigkeit und
Hohlheit mit.
Henning:
So ist eben auch manchmal Demokratie. Manchmal laufen die Sachen gegen einen.
Theo:
Na, gut.
Henning:
Lass uns für heute Schluss machen.
Theo:
In Ordnung, aber lass mich bitte noch eine Sache sagen.
Henning:
Ja, bitte.
Theo:
Wanka unterstellt Unfreiheit in der DDR…
Henning:
Durchaus berechtigt.
Theo:
… ja, aber sind wir heute so viel freier? In der DDR konntest Du Deinen Chef,
aber nicht Erich Honecker als Arschloch titulieren. In der Bundesrepublik
kannst Du Merkel als Arschloch bezeichnen, aber Deinen Chef nicht. Ist das
Freiheit? In meinem Leben habe ich meine Vorgesetzten, Lehrer und Dozenten nie
derartig beschimpft, aber unfrei bin ich trotzdem. Ich bin arbeitslos, weil ich
manchmal zu oft meine Ansichten kundtat. Das Gefährlichste ist, wenn Du einer
Person in der Hierarchieebene über Dir deren Unwissen aufzeigst.
Henning:
Du meinst: Belehren, Besserwisserei, Klugscheißerei?
Theo:
Ja, Chefs wollen unangetastet bleiben. Ob es ihnen zum Vor- oder Nachteil
gereichen kann, egal. Das wollte ich nur loswerden. Danke.
Henning:
Auch ich danke Dir trotzdem für dieses Gespräch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen