Während
meiner politischen Bildungsreise nach Berlin zum Bundestagsabgeordneten Ulrich
Hampel (SPD) gab es ein interessantes Programm. Und zwar zwei Fragerunden. Die
erste war bei einem Vertreter des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und
die Informationssicherheit. Der Mitarbeiter des Bundesbeauftragten heißt Jürgen
Roth, leicht zu verwechseln mit einem investigativen Journalisten. Allerdings
ist er nur Mitglied der Grünen und insofern harmlos. Jedoch sind Grüne sehr
gute Gesprächspartner. Bei denen darf man alle Fragen stellen, ohne dass sie es
einem übel nehmen. Das kenne ich aus privaten Runden. Allerdings war Herr Roth
nicht in seiner Eigenschaft als Grüner in der Fragerunde.
Am
Anfang stellte sich Herr Roth vor und beschrieb die Aufgabe der
Bundesbeauftragten. Wusste einer aus dem Plenum, wie der Name der
Bundesbeauftragten heißt? Danach fragte Herr Roth nicht. Er wollte uns wohl jedwede
Blöße ersparen. Auch ich hätte lange überlegen müssen. Ich hatte ein mütterliches
Brillen-Pausbackengesicht vor Augen, aber der Name Voßhoff wäre mir sehr spät
eingefallen. Zumindest wäre er mir eingefallen. Jedoch wusste ich um ihre
CDU-Parteimitgliedschaft. Das ging ja durch die Medien, als ob Mitglieder der
Union keine Ahnung von Datenschutz hätten! Nach kurzer Zeit durften wir Fragen
stellen. Gern ließ ich anderen den Vortritt, damit sie sich beweisen durften.
Schließlich war mir bewusst, dass solche Runden oftmals nur einfache Fragen
haben. Das ist nicht weiter schlimm, aber trotzdem glauben manche Fragende an
ihre geistige Überlegenheit, wenn sie nach den Einschränkungsmöglichkeiten für
Google und Facebook fragen. Doch was hat der Datenschutzbeauftragte damit zu
tun? Er erlässt keine Gesetze, sondern berät lediglich die Regierung und andere
Politiker.
Also
stellte ich eine Frage: „In einer Meinungsumfrage im Auftrag des
Bundespresseamtes, welches direkt und ausschließlich an Bundeskanzler Angela
Merkel ging, steht, dass lediglich drei Prozent der deutschen Bevölkerung sich für die NSA-Ausspähaffäre interessierten. Gibt es also eine Notwendigkeit für
den Bundesbeauftragten? Fühlen wir uns nicht durch das Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik (BSI) besser aufgehoben?“
Jürgen
Roth: „Ja, wir kontrollieren Unternehmen der Telekommunikationsbranche, soweit
sie Nachfolgeunternehmen der Bundespost sind, und beraten die Politik. Unsere
Möglichkeiten sind begrenzt, wir haben bloß 90 Mitarbeiter. Jedoch steht das
BSI nicht im Gegensatz zum Datenschutzbeauftragten.“
Meine
Erwiderung: „Wie viele Schreiben erhält der Bundesbeauftragte und wie viele beispielsweise das … ähm …
Bundesinnenministerium im Jahr?“
Jürgen
Roth: „Unsere Anfragen sind steigend. Und jeder Bürger, der eine Frage stellt,
bekommt eine Antwort.“
Jürgen
Roth: „Sicherlich, aber diese zähle ich nicht dazu. Jedenfalls sind die Zahlen
von Auskunftssuchenden jährlich steigend.“
Nun
waren wieder andere dran. Dann stellte ich eine kurze Frage: „Was haben sie lieber?
Gesetze oder Vernunft?“ (Gelächter im Plenum)
Jürgen
Roth: „Vernünftige Gesetze und gesetzliche Vernunft.“ (Gelächter im Plenum)
Meine
Antwort: „Okay, daraus lese ich eine Antwort.“
Jürgen
Roth: „Wir müssen schauen, dass sich die Bürger nicht eingeengt fühlen und wir
sie gleichzeitig aufklären. Es ist schon merkwürdig, dass StudiVZ sicherer wurde
und die User anschließend zu Facebook mit lachseren Rechten abwanderten.“
Danach
kamen wieder kurze Fragen und Antworten, und die Runde war bereits kurz vor der
Auflösung. Da stellte ich noch eine kurze Frage: „Bedürfen Öffentlichkeit und
Heimlichkeit einander?“
Jürgen
Roth: „Ohne Öffentlichkeit und Heimlichkeit geht es nicht. Beide Sachen sind
wichtig. Wir müssen die Sachen nur transparent und nachvollziehbar halten.“
Über
meine Erfahrungen mit der Informationsauskunft wollte ich dann nicht mehr
sprechen. Die notwendigen Unterlagen des Auswärtigen Amtes bezüglich einer
deutschen Waffenfabrik im saudischen Al-Kharj waren nicht öffentlich einsehbar.
Diese Akten hätten meine Magisterarbeit ungemein aufgewertet. Doch dazu hätte
ich lange warten und große Kosten selbst tragen müssen, jedoch wollte ich mein
Studium endlich abschließen. Außerdem erfahren solche Magisterarbeiten auch
erst ihre Aufmerksamkeit, wenn eine gesellschaftliche Grundstimmung besteht. Im
Jahr 2010 hat sich keiner für Waffenlieferungen an Saudi-Arabien interessiert.
Die
zweite Fragerunde fand einen Tag später im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales statt. Der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums hieß Rainer
Benz-Geiersberger. Seine parteipolitische Zugehörigkeit oder Präferenz konnte
ich nicht definitiv ausmachen. Selbst wenn er Unionsmitglied wäre, beinhaltet
das noch längst nicht schlechte Arbeit seinerseits. Wobei ich bei Herrn Benz-Geiersberger
eher vom anderen politischen Lager ausgehe.
Auch
Herr Benz-Geiersberger stellte erst einmal seine Behörde vor. Dann stellte er
die Frage, welchen parlamentarischen Staatsekretär man im Video vorgestellt
bekommen möchte. Die Wahl fiel auf die Niedersächsin Gabriele Lösekrug-Möller,
kurz LöMö, und nicht auf die Bayerin Anette Kramme. Anschließend durften wir
uns die weiteren Gesprächsthemen aussuchen. Die Wünsche fielen auf den
Mindestlohn und die Rente ab 63. Beim Mindestlohn fragten alle nach den
Ausnahmen. Und ich auch, als ich die Werkverträge ansprach. Einer meiner
Kollegen erwiderte darauf, dass das bei den Arbeitgebern nicht mehr aktuell
sei, wenn sie den Mindestlohn umgehen wollen. Der neue Kniff der Arbeitgeber
sei eine vertragliche Zielvereinbarung. Danach war die Sache geregelt. Doch meine
Chance auf meine im Blog bereits angekündigte Frage wollte ich mir nicht
entgehen lassen. Da in unserem Fragerunde auch der Punkt Langzeitarbeitslose
fiel, stellte ich meine Eingangsfrage zum Thema Mindestlohn: „Weshalb gibt es
Ausnahmen bei den Langzeitarbeitslosen, wenn es doch angeblich einen
Fachkräftemangel gibt?“
Rainer
Benz-Geiersberger: „Es gibt in einem Gesetzgebungsprozess häufig Änderungen
gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Am Ende ist steht dann ein
Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern.“
Meine
Nachfrage: „Es gab eine Reportage der ARD, die „Der Arbeitsmarktreport – Das Märchen vom Fachkräftemangel“ hieß. Die war seriös, eben ARD. Darin wurde von
der Unehrlichkeit am Arbeitsmarkt gesprochen. Ist denn das Märchen vom
Fachkräftemangel eine Form des Nudgings?“
Rainer
Benz-Geiersberger: „Was ist Nudging?“
Meine
Antwort: „Das ist Englisch und bedeutet übersetzt ‚sanftes Anstoßen‘. Die Theorie stammt von Richard Thaler und Cass Sunstein. Die beiden Wissenschaftler
entwickelten eine Methode zum sanften Lenken der Bevölkerung. So wurden am
Amsterdamer Flughafen Schiphol Fliegen ins Pissoir geklebt, damit es sauberer
bleibt. Das war das erste Nudging. In Großbritannien müssen die Bürger bei
ihrer Steuererklärung am Anfang gleich eine Unterschrift leisten, dass sie
ehrlich antworten. Damit erzielte man in Großbritannien größere
Steuerehrlichkeit und höhere Einnahmen. Das Nudging in Deutschland ist beim
Bundeskanzleramt angesiedelt. Ist das Märchen vom Fachkräftemangel also eine
Form des Nudgings, damit sich Arbeitslose dümmer fühlen und sich eher von einem
möglichen Arbeitgeber ausbeuten lassen?“
Rainer
Benz-Geiersberger: „Ich weiß nicht, wie das zum Mindestlohn passt. Und bei
diesem Thema sind wir doch gerade.“
Damit
wurde meine Frage nicht in meinem Sinne beantwortet, jedoch kamen wir
anschließend auf die Rente ab 63 zu sprechen. Dazu hatten die Teilnehmer im
Plenum auch wieder persönliche Fragen. Allerdings waren deren Fragen nichts
Grundsätzliches, sondern eher persönlicher Natur. Jedoch machte ich einen
sanften Einstieg ins Thema: „Ist das Altern in Zukunft beängstigend, wenn das
Rentenniveau bald nur noch 42 Prozent beträgt?“
Ich
fuhr fort und hakte bei der privaten Altersvorsorge nach, die Herr Benz-Geiersberger
zuvor kurz angesprochen hatte: „Lebensversicherungen erweisen sich mittlerweile
als vergleichsweise ungünstige Altersvorsorge. Im heutigen Arbeitsleben
erwartet man Mobilität und Flexibilität. Also will der Erwerb eines Eigenheims überlegt
sein, denn die Immobiliensituation in bevölkerungsarmen Gegenden kann auch dazu
führen, daß der Wert einer Immobilie sinken kann.“
Rainer
Benz-Geiersberger: „Wenn sie nicht vorsorgen, haben sie am Ende nur eine Null.“ Währenddessen formte die rechte Hand von Herrn Benz-Geiersberger
eine Null. Und es folgte Gelächter im Plenum. Abschließend nahm ich meine
Beispiele mit der Lebensversicherung und dem Hauskredit zum Anlass, beim bei
Herrn Benz-Geiersberger persönlich unter vier Augen genauer nachzuhaken. Ich
sprach erneut die Nutzlosigkeit der privaten Altersvorsorge an. Dieses Mal
zeigte er eine ernsthaftere, mitfühlendere Mimik.
Und
solche Fragestunden – sei es beim Datenschutzbeauftragten oder beim
Bundesarbeitsministerium – verdeutlichen sehr viele Sachen. Rede und Antwort
stehen meistens nur einfache Menschen, die für die betreffende Politik nichts
können. Gleichzeitig versuchen sich Alpharüden wie ich oder andere, auf Kosten
des jeweiligen Mitarbeiters zu profilieren. Dabei ist es so einfach, aus der
Masse zu agieren, während der jeweilige Referent oftmals allein dasteht.
Außerdem
funktioniert eine solche Bürgersprechstunde wie eine Einbahnstraße. Der
Referent verkauft die Politik der Behörde, doch dagegen fragt sein Vorgesetzter
nicht nach dem Befinden in der Bevölkerung. Insofern ist ein solcher Job ganz
schön hart.
Außerdem
erdreisten sich dann viele Teilnehmer aus der Besucherrunde, dass ihnen nur
Unehrlichkeit und Lügen geboten worden seien. Doch das stimmt nicht. Die Fragen
wurden stets beantwortet. Bei beiden Gesprächsrunden gab es jeweils nur einmal
eine der beiden folgen Antworten: „Das weiß ich nicht, weil wir dafür nicht
zuständig sind.“ Oder: „Dazu kann ich nichts sagen, weil das auf EU-Ebene entschieden
wird und anschließend in nationale Gesetze gegossen werden muss.“
Die anschließende
Nörgelei der Besucher verdeutlicht vielmehr die politische Unzufriedenheit und
manchmal sogar Politikverdrossenheit, weil die Sachen anders laufen als
erhofft. Doch Demokratie ist stets Kompromiss, das beinhaltet auch
Zugeständnisse. Und wenn das rhetorische Vermögen und der politische
Sachverstand nicht ausreicht, darf man nicht anschließend in kleiner Runde sein
persönliches Mißfallen ausdrücken und dem Referenten sowie seiner Behörde
möglicherweise Inkompetenz vorwerfen. Auf die Frage, ob die anderen Teilnehmer
wüssten, wer Frau Bentele oder Frau Özuguz seien, kam Achselzucken auf. Den
Mitmenschen ist außerdem nicht bewusst, dass es harte und weiche Ministerien
gibt. Das gleiche gilt auch für andere Behörden. Insofern war der Vorgänger der
aktuellen Datenschutzbeauftragten, Peter Schaar, lediglich der intellektuelle
Anstrich für die Tagesschau. Auch Schaar konnte nicht wirklich etwas
ausrichten.
Stattdessen
muss man immer wieder auf die politische Gesetzgebung einwirken. Als guter
Gewerkschafter ist man das gewohnt. Wir kennen die Macht der Straße und nutzen
sie doch zu selten. Außerdem sollten wir Gewerkschafter der politischen Bildung
erneut größere Bedeutung beimessen. Es mangelt an Fachwissen und Dialektik. Das
ist jedoch nicht die Aufgabe des Bundesbeauftragten oder des
Arbeitsministeriums.
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