Mittwoch, 3. Dezember 2014

Achtung: Wichtige Fragen!



Während meiner politischen Bildungsreise nach Berlin zum Bundestagsabgeordneten Ulrich Hampel (SPD) gab es ein interessantes Programm. Und zwar zwei Fragerunden. Die erste war bei einem Vertreter des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationssicherheit. Der Mitarbeiter des Bundesbeauftragten heißt Jürgen Roth, leicht zu verwechseln mit einem investigativen Journalisten. Allerdings ist er nur Mitglied der Grünen und insofern harmlos. Jedoch sind Grüne sehr gute Gesprächspartner. Bei denen darf man alle Fragen stellen, ohne dass sie es einem übel nehmen. Das kenne ich aus privaten Runden. Allerdings war Herr Roth nicht in seiner Eigenschaft als Grüner in der Fragerunde.

Am Anfang stellte sich Herr Roth vor und beschrieb die Aufgabe der Bundesbeauftragten. Wusste einer aus dem Plenum, wie der Name der Bundesbeauftragten heißt? Danach fragte Herr Roth nicht. Er wollte uns wohl jedwede Blöße ersparen. Auch ich hätte lange überlegen müssen. Ich hatte ein mütterliches Brillen-Pausbackengesicht vor Augen, aber der Name Voßhoff wäre mir sehr spät eingefallen. Zumindest wäre er mir eingefallen. Jedoch wusste ich um ihre CDU-Parteimitgliedschaft. Das ging ja durch die Medien, als ob Mitglieder der Union keine Ahnung von Datenschutz hätten! Nach kurzer Zeit durften wir Fragen stellen. Gern ließ ich anderen den Vortritt, damit sie sich beweisen durften. Schließlich war mir bewusst, dass solche Runden oftmals nur einfache Fragen haben. Das ist nicht weiter schlimm, aber trotzdem glauben manche Fragende an ihre geistige Überlegenheit, wenn sie nach den Einschränkungsmöglichkeiten für Google und Facebook fragen. Doch was hat der Datenschutzbeauftragte damit zu tun? Er erlässt keine Gesetze, sondern berät lediglich die Regierung und andere Politiker.

Also stellte ich eine Frage: „In einer Meinungsumfrage im Auftrag des Bundespresseamtes, welches direkt und ausschließlich an Bundeskanzler Angela Merkel ging, steht, dass lediglich drei Prozent der deutschen Bevölkerung sich für die NSA-Ausspähaffäre interessierten. Gibt es also eine Notwendigkeit für den Bundesbeauftragten? Fühlen wir uns nicht durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) besser aufgehoben?“

Jürgen Roth: „Ja, wir kontrollieren Unternehmen der Telekommunikationsbranche, soweit sie Nachfolgeunternehmen der Bundespost sind, und beraten die Politik. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, wir haben bloß 90 Mitarbeiter. Jedoch steht das BSI nicht im Gegensatz zum Datenschutzbeauftragten.“

Meine Erwiderung: „Wie viele Schreiben erhält der Bundesbeauftragte und  wie viele beispielsweise das … ähm … Bundesinnenministerium im Jahr?“

Jürgen Roth: „Unsere Anfragen sind steigend. Und jeder Bürger, der eine Frage stellt, bekommt eine Antwort.“

Mein Einwurf: „Ja, aber darunter sind doch auch Weihnachtsgrüße, oder?“

Jürgen Roth: „Sicherlich, aber diese zähle ich nicht dazu. Jedenfalls sind die Zahlen von Auskunftssuchenden jährlich steigend.“

Nun waren wieder andere dran. Dann stellte ich eine kurze Frage: „Was haben sie lieber? Gesetze oder Vernunft?“ (Gelächter im Plenum)

Jürgen Roth: „Vernünftige Gesetze und gesetzliche Vernunft.“ (Gelächter im Plenum)

Meine Antwort: „Okay, daraus lese ich eine Antwort.“

Jürgen Roth: „Wir müssen schauen, dass sich die Bürger nicht eingeengt fühlen und wir sie gleichzeitig aufklären. Es ist schon merkwürdig, dass StudiVZ sicherer wurde und die User anschließend zu Facebook mit lachseren Rechten abwanderten.“

Danach kamen wieder kurze Fragen und Antworten, und die Runde war bereits kurz vor der Auflösung. Da stellte ich noch eine kurze Frage: „Bedürfen Öffentlichkeit und Heimlichkeit einander?“

Jürgen Roth: „Ohne Öffentlichkeit und Heimlichkeit geht es nicht. Beide Sachen sind wichtig. Wir müssen die Sachen nur transparent und nachvollziehbar halten.“

Über meine Erfahrungen mit der Informationsauskunft wollte ich dann nicht mehr sprechen. Die notwendigen Unterlagen des Auswärtigen Amtes bezüglich einer deutschen Waffenfabrik im saudischen Al-Kharj waren nicht öffentlich einsehbar. Diese Akten hätten meine Magisterarbeit ungemein aufgewertet. Doch dazu hätte ich lange warten und große Kosten selbst tragen müssen, jedoch wollte ich mein Studium endlich abschließen. Außerdem erfahren solche Magisterarbeiten auch erst ihre Aufmerksamkeit, wenn eine gesellschaftliche Grundstimmung besteht. Im Jahr 2010 hat sich keiner für Waffenlieferungen an Saudi-Arabien interessiert.

Die zweite Fragerunde fand einen Tag später im Bundesministerium für Arbeit und Soziales statt. Der Vertreter des Bundesarbeitsministeriums hieß Rainer Benz-Geiersberger. Seine parteipolitische Zugehörigkeit oder Präferenz konnte ich nicht definitiv ausmachen. Selbst wenn er Unionsmitglied wäre, beinhaltet das noch längst nicht schlechte Arbeit seinerseits. Wobei ich bei Herrn Benz-Geiersberger eher vom anderen politischen Lager ausgehe.

Auch Herr Benz-Geiersberger stellte erst einmal seine Behörde vor. Dann stellte er die Frage, welchen parlamentarischen Staatsekretär man im Video vorgestellt bekommen möchte. Die Wahl fiel auf die Niedersächsin Gabriele Lösekrug-Möller, kurz LöMö, und nicht auf die Bayerin Anette Kramme. Anschließend durften wir uns die weiteren Gesprächsthemen aussuchen. Die Wünsche fielen auf den Mindestlohn und die Rente ab 63. Beim Mindestlohn fragten alle nach den Ausnahmen. Und ich auch, als ich die Werkverträge ansprach. Einer meiner Kollegen erwiderte darauf, dass das bei den Arbeitgebern nicht mehr aktuell sei, wenn sie den Mindestlohn umgehen wollen. Der neue Kniff der Arbeitgeber sei eine vertragliche Zielvereinbarung. Danach war die Sache geregelt. Doch meine Chance auf meine im Blog bereits angekündigte Frage wollte ich mir nicht entgehen lassen. Da in unserem Fragerunde auch der Punkt Langzeitarbeitslose fiel, stellte ich meine Eingangsfrage zum Thema Mindestlohn: „Weshalb gibt es Ausnahmen bei den Langzeitarbeitslosen, wenn es doch angeblich einen Fachkräftemangel gibt?“

Rainer Benz-Geiersberger: „Es gibt in einem Gesetzgebungsprozess häufig Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Am Ende  ist steht  dann  ein Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern.“

Meine Nachfrage: „Es gab eine Reportage der ARD, die „Der Arbeitsmarktreport – Das Märchen vom Fachkräftemangel“ hieß. Die war seriös, eben ARD. Darin wurde von der Unehrlichkeit am Arbeitsmarkt gesprochen. Ist denn das Märchen vom Fachkräftemangel eine Form des Nudgings?“

Rainer Benz-Geiersberger: „Was ist Nudging?“

Meine Antwort: „Das ist Englisch und bedeutet übersetzt ‚sanftes Anstoßen‘. Die Theorie stammt von Richard Thaler und Cass Sunstein. Die beiden Wissenschaftler entwickelten eine Methode zum sanften Lenken der Bevölkerung. So wurden am Amsterdamer Flughafen Schiphol Fliegen ins Pissoir geklebt, damit es sauberer bleibt. Das war das erste Nudging. In Großbritannien müssen die Bürger bei ihrer Steuererklärung am Anfang gleich eine Unterschrift leisten, dass sie ehrlich antworten. Damit erzielte man in Großbritannien größere Steuerehrlichkeit und höhere Einnahmen. Das Nudging in Deutschland ist beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Ist das Märchen vom Fachkräftemangel also eine Form des Nudgings, damit sich Arbeitslose dümmer fühlen und sich eher von einem möglichen Arbeitgeber ausbeuten lassen?“

Rainer Benz-Geiersberger: „Ich weiß nicht, wie das zum Mindestlohn passt. Und bei diesem Thema sind wir doch gerade.“

Damit wurde meine Frage nicht in meinem Sinne beantwortet, jedoch kamen wir anschließend auf die Rente ab 63 zu sprechen. Dazu hatten die Teilnehmer im Plenum auch wieder persönliche Fragen. Allerdings waren deren Fragen nichts Grundsätzliches, sondern eher persönlicher Natur. Jedoch machte ich einen sanften Einstieg ins Thema: „Ist das Altern in Zukunft beängstigend, wenn das Rentenniveau bald nur noch 42 Prozent beträgt?“

Ich fuhr fort und hakte bei der privaten Altersvorsorge nach, die Herr Benz-Geiersberger zuvor kurz angesprochen hatte: „Lebensversicherungen erweisen sich mittlerweile als vergleichsweise ungünstige Altersvorsorge. Im heutigen Arbeitsleben erwartet man Mobilität und Flexibilität. Also will der Erwerb eines Eigenheims überlegt sein, denn die Immobiliensituation in bevölkerungsarmen Gegenden kann auch dazu führen, daß der Wert einer Immobilie sinken kann.“

Rainer Benz-Geiersberger: „Wenn sie nicht vorsorgen, haben sie am Ende nur eine Null.“ Währenddessen formte die rechte Hand von Herrn Benz-Geiersberger eine Null. Und es folgte Gelächter im Plenum. Abschließend nahm ich meine Beispiele mit der Lebensversicherung und dem Hauskredit zum Anlass, beim bei Herrn Benz-Geiersberger persönlich unter vier Augen genauer nachzuhaken. Ich sprach erneut die Nutzlosigkeit der privaten Altersvorsorge an. Dieses Mal zeigte er eine ernsthaftere, mitfühlendere Mimik.

Und solche Fragestunden – sei es beim Datenschutzbeauftragten oder beim Bundesarbeitsministerium – verdeutlichen sehr viele Sachen. Rede und Antwort stehen meistens nur einfache Menschen, die für die betreffende Politik nichts können. Gleichzeitig versuchen sich Alpharüden wie ich oder andere, auf Kosten des jeweiligen Mitarbeiters zu profilieren. Dabei ist es so einfach, aus der Masse zu agieren, während der jeweilige Referent oftmals allein dasteht.

Außerdem funktioniert eine solche Bürgersprechstunde wie eine Einbahnstraße. Der Referent verkauft die Politik der Behörde, doch dagegen fragt sein Vorgesetzter nicht nach dem Befinden in der Bevölkerung. Insofern ist ein solcher Job ganz schön hart.

Außerdem erdreisten sich dann viele Teilnehmer aus der Besucherrunde, dass ihnen nur Unehrlichkeit und Lügen geboten worden seien. Doch das stimmt nicht. Die Fragen wurden stets beantwortet. Bei beiden Gesprächsrunden gab es jeweils nur einmal eine der beiden folgen Antworten: „Das weiß ich nicht, weil wir dafür nicht zuständig sind.“ Oder: „Dazu kann ich nichts sagen, weil das auf EU-Ebene entschieden wird und anschließend in nationale Gesetze gegossen werden muss.“

Die anschließende Nörgelei der Besucher verdeutlicht vielmehr die politische Unzufriedenheit und manchmal sogar Politikverdrossenheit, weil die Sachen anders laufen als erhofft. Doch Demokratie ist stets Kompromiss, das beinhaltet auch Zugeständnisse. Und wenn das rhetorische Vermögen und der politische Sachverstand nicht ausreicht, darf man nicht anschließend in kleiner Runde sein persönliches Mißfallen ausdrücken und dem Referenten sowie seiner Behörde möglicherweise Inkompetenz vorwerfen. Auf die Frage, ob die anderen Teilnehmer wüssten, wer Frau Bentele oder Frau Özuguz seien, kam Achselzucken auf. Den Mitmenschen ist außerdem nicht bewusst, dass es harte und weiche Ministerien gibt. Das gleiche gilt auch für andere Behörden. Insofern war der Vorgänger der aktuellen Datenschutzbeauftragten, Peter Schaar, lediglich der intellektuelle Anstrich für die Tagesschau. Auch Schaar konnte nicht wirklich etwas ausrichten.

Stattdessen muss man immer wieder auf die politische Gesetzgebung einwirken. Als guter Gewerkschafter ist man das gewohnt. Wir kennen die Macht der Straße und nutzen sie doch zu selten. Außerdem sollten wir Gewerkschafter der politischen Bildung erneut größere Bedeutung beimessen. Es mangelt an Fachwissen und Dialektik. Das ist jedoch nicht die Aufgabe des Bundesbeauftragten oder des Arbeitsministeriums.

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