Freitag, 17. Oktober 2014

Rechtsstaat oder Unrechtsstaat



Ist die DDR ein Unrechtsstaat? Diese Frage kam im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen der Linken, der SPD und den Grünen in Thüringen 2014 auf. An dieser Frage scheiden sich jedenfalls die Geister. Es gibt Argumente, die sowohl dafür als auch dagegen sprechen. Man findet also nachvollziehbare Positionen.

Zweifellos war die DDR keine Demokratie, sondern eine Diktatur. Das gab die DDR ja auch selbst von sich zu. Nach marxistischem Verständnis gibt es keine reine Demokratie, sondern eine bürgerliche Demokratie, also einer Diktatur des Bürgertums. Auf der anderen Seite gibt es nach sozialistischem Verständnis eine proletarische Diktatur. Daher traf die DDR der Vorwurf auch nicht, wenn man sie als Diktatur diffamierte.

Und herrscht automatisch in jeder Diktatur Unrecht? Eine interessante Frage, die noch nicht abschließend beantwortet worden ist. Viele Ostdeutsche sehen die DDR zweifellos nicht als Unrechtsstaat. Schließlich gab es das allgemein Zugangsrecht zu den Gerichten. Sogar Revisionen waren zugelassen.

Gleichzeitig suggeriert Unrecht die Präsenz von Willkür, Amoral und Sitten- oder Werteverfall. Das ist jedoch nicht der Fall. Laut soziologischen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen gab es nie eine Gesellschaft ohne Werte, so perfide diese auch in der Geschichte gewesen sein mögen.

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk begründete den DDR-Unrechtsstaat unter anderem mit der Abwesenheit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da stellt sich nur die Frage, welcher Bundesbürger je mit dem Verwaltungsgericht zu tun hatte. Dies ist nämlich eine Gerichtsbarkeit der gehobenen Sozialschichten, damit das Söhnchen auch ja Medizin an der von ihm auswählten Hochschule studieren darf, oder ein Bauunternehmer auf Naturschutzgebiet bauen oder unter Denkmalschutz stehende Gebäude für Neubauten abreißen lassen darf.

Dann könnten manche schlaue Köpfe entgegnen, dass es in der DDR nie eine demokratische Verfassungsgebung gab. Doch das DDR-System wurde 40 Jahre von der Bevölkerung getragen, bis es abgewirtschaftet hatte.

Und bei dieser Debatte bleibt auch ein weiterer Verweis auf das bundesrepublikanische System nie aus. Seit 1949 gab es nie eine Abstimmung über die Verfassung. Ist also die Bundesrepublik deshalb ein Unrechtsstaat? Nein, absolut nicht. Es ist das bestmögliche politische System, das wir Deutschen in der Geschichte hatten. Und dazu bekennt sich auch die Mehrheit der Linken. Und das seit Jahren.

Noch schlauere Köpfe verweisen dann auf die Freizügigkeit in der DDR. Ja, es stimmt. Das war eine ganz perfide Sache. Nach der KSZE-Schlussakte von 1973, die auch die DDR ratifizierte, gab es das Grundrecht auf Freizügigkeit. Doch die gefassten Flüchtlinge wurden nie offiziell wegen Fluchtversuchs angeklagt, sondern wegen des Versuchs eines unerlaubten Grenzübertritts. In der Bundesrepublik ist das eine Bagatelle, aber das ändert nichts an der Rechts- oder Unrechtstaatlichkeit.

Doch was soll diese merkwürdige Aktion der thüringischen Grünen, als sie den Linken eine unterschriebene Erklärung über den DDR-Unrechtsstaat abnötigten? Was sagt solch ein Akt aus? Auf alle Fälle, dass Papier geduldig ist. Es ist nicht mehr als ein Papyrussieg. Am historischen DDR-Unrechtsstaat oder Rechtsstaat entscheidet sich nicht die Zukunft Thüringens. Die Zukunft liegt nämlich bekanntermaßen nicht in der Vergangenheit.

Anja Siegesmund, die grüne Fraktionsvorsitzende aus Thüringen, rechtfertigt ihren Druck auf die Linken mit dem weiteren Bedarf der historischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Doch dabei verwechselt Siegesmund Unrecht mit Unrechtsstaat. Unrecht gibt es nämlich auch in Rechtsstaaten. Und die Nicht-Existenz eines Rechtsstaates beinhaltet nicht automatisch das Bestehen eines Unrechtsstaates.

Auf die tiefgehende Erforschung des Themas muss Siegesmund jedenfalls noch weitere fünf Jahre warten, bis die letzten Archive vollständig geöffnet sind. Solange liegen die Akten noch unter Verschluss. In dieser Zeit können sich die Grünen lediglich auf Analysen von Politikwissenschaftler stützen. Doch deren wissenschaftliche Disziplin ist eher mit Topfschlagen gleichzusetzen, weil diese Wissenschaftler ohne konkrete Quellen eine Untersuchung mit der Methode Phi-Mal-Daumen-Mal-Fensterkreuz durchführen.

Mit dieser Unterschriftenaktion diskreditieren sich die Grünen. Selbst bundesdeutsche Gerichte erkannten durchaus DDR-Recht an. Sogar das Bundesverfassungsgericht. Damit stellten sich die Grünen über das höchste deutsche Gericht. Das sitzt in Karlsruhe und ist nicht Eisbein mit Sauerkraut. Hoffentlich war am Tag der Unterschrift nicht Veggie-Day!

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