Ist die DDR ein Unrechtsstaat?
Diese Frage kam im Zuge der Koalitionsverhandlungen zwischen der Linken, der SPD und den Grünen in Thüringen 2014 auf. An dieser Frage scheiden sich jedenfalls
die Geister. Es gibt Argumente, die sowohl dafür als auch dagegen sprechen. Man
findet also nachvollziehbare Positionen.
Zweifellos war die DDR keine
Demokratie, sondern eine Diktatur. Das gab die DDR ja auch selbst von sich zu. Nach marxistischem Verständnis gibt es keine
reine Demokratie, sondern eine bürgerliche Demokratie, also einer Diktatur des
Bürgertums. Auf der anderen Seite gibt es nach sozialistischem Verständnis eine
proletarische Diktatur. Daher traf die DDR der Vorwurf auch nicht, wenn man sie
als Diktatur diffamierte.
Und herrscht automatisch in jeder
Diktatur Unrecht? Eine interessante Frage, die noch nicht abschließend
beantwortet worden ist. Viele Ostdeutsche sehen die DDR zweifellos nicht als
Unrechtsstaat. Schließlich gab es das allgemein Zugangsrecht zu den Gerichten.
Sogar Revisionen waren zugelassen.
Gleichzeitig suggeriert Unrecht
die Präsenz von Willkür, Amoral und Sitten- oder Werteverfall. Das ist jedoch
nicht der Fall. Laut soziologischen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen
gab es nie eine Gesellschaft ohne Werte, so perfide diese auch in der
Geschichte gewesen sein mögen.
Der Historiker Ilko-Sascha
Kowalczuk begründete den DDR-Unrechtsstaat unter anderem mit der Abwesenheit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da stellt sich nur die Frage, welcher Bundesbürger
je mit dem Verwaltungsgericht zu tun hatte. Dies ist nämlich eine
Gerichtsbarkeit der gehobenen Sozialschichten, damit das Söhnchen auch ja
Medizin an der von ihm auswählten Hochschule studieren darf, oder ein
Bauunternehmer auf Naturschutzgebiet bauen oder unter Denkmalschutz stehende
Gebäude für Neubauten abreißen lassen darf.
Dann könnten manche schlaue Köpfe
entgegnen, dass es in der DDR nie eine demokratische Verfassungsgebung gab. Doch
das DDR-System wurde 40 Jahre von der Bevölkerung getragen, bis es
abgewirtschaftet hatte.
Und bei dieser Debatte bleibt auch
ein weiterer Verweis auf das bundesrepublikanische System nie aus. Seit 1949
gab es nie eine Abstimmung über die Verfassung. Ist also die Bundesrepublik
deshalb ein Unrechtsstaat? Nein, absolut nicht. Es ist das bestmögliche
politische System, das wir Deutschen in der Geschichte hatten. Und dazu bekennt
sich auch die Mehrheit der Linken. Und das seit Jahren.
Noch schlauere Köpfe verweisen
dann auf die Freizügigkeit in der DDR. Ja, es stimmt. Das war eine ganz perfide
Sache. Nach der KSZE-Schlussakte von 1973, die auch die DDR ratifizierte, gab
es das Grundrecht auf Freizügigkeit. Doch die gefassten Flüchtlinge wurden nie
offiziell wegen Fluchtversuchs angeklagt, sondern wegen des Versuchs eines
unerlaubten Grenzübertritts. In der Bundesrepublik ist das eine Bagatelle, aber
das ändert nichts an der Rechts- oder Unrechtstaatlichkeit.
Doch was soll diese merkwürdige
Aktion der thüringischen Grünen, als sie den Linken eine unterschriebene
Erklärung über den DDR-Unrechtsstaat abnötigten? Was sagt solch ein Akt aus?
Auf alle Fälle, dass Papier geduldig ist. Es ist nicht mehr als ein
Papyrussieg. Am historischen DDR-Unrechtsstaat oder Rechtsstaat entscheidet
sich nicht die Zukunft Thüringens. Die Zukunft liegt nämlich bekanntermaßen nicht
in der Vergangenheit.
Anja Siegesmund, die grüne
Fraktionsvorsitzende aus Thüringen, rechtfertigt ihren Druck auf die Linken mit dem weiteren Bedarf der historischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Doch dabei
verwechselt Siegesmund Unrecht mit Unrechtsstaat. Unrecht gibt es nämlich auch
in Rechtsstaaten. Und die Nicht-Existenz eines Rechtsstaates beinhaltet nicht
automatisch das Bestehen eines Unrechtsstaates.
Auf die tiefgehende Erforschung
des Themas muss Siegesmund jedenfalls noch weitere fünf Jahre warten, bis die
letzten Archive vollständig geöffnet sind. Solange liegen die Akten noch unter
Verschluss. In dieser Zeit können sich die Grünen lediglich auf Analysen von
Politikwissenschaftler stützen. Doch deren wissenschaftliche Disziplin ist eher
mit Topfschlagen gleichzusetzen, weil diese Wissenschaftler ohne konkrete
Quellen eine Untersuchung mit der Methode Phi-Mal-Daumen-Mal-Fensterkreuz
durchführen.
Mit dieser Unterschriftenaktion
diskreditieren sich die Grünen. Selbst bundesdeutsche Gerichte erkannten
durchaus DDR-Recht an. Sogar das Bundesverfassungsgericht. Damit stellten sich
die Grünen über das höchste deutsche Gericht. Das sitzt in Karlsruhe und ist
nicht Eisbein mit Sauerkraut. Hoffentlich war am Tag der Unterschrift nicht
Veggie-Day!
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